Beziehungsdelikte Neben "opferlosen" Straftaten (auch "Zustimmungsstraftaten" genannt), - das sind solche, an denen alle Beteiligten freiwillig teilnehmen, z. B. illegales Glücksspiel, verbotene
Prostitution, Verkauf und Konsum von Rauschmitteln -, und Delikten, die sich nicht gegen Privatpersonen richten, sondern Behörden und Institutionen bzw. Rechtsgüter der Allgemeinheit betreffen (z. B. Umwelt-, Wirtschaftskriminalität), gibt es Verbrechen, die aus einer spezifischen Täter-
Opfer-Beziehung erwachsen (*
Opfer). Diese werden als "Beziehungsverbrechen" bezeichnet, wobei zu unterscheiden ist zwischen "echten" und "unechten" Beziehungsverbrechen. Danach ist Kriterium für das echte Beziehungsdelikt die "tatrelevante, vordeliktische, subjektive soziale Beziehung zwischen
Opfer und Täter". Nicht ausreichend ist der "durch die Tatsache des Delikts" allein geschaffene soziale Zusammenhang zwischen
Opfer und Täter. Vielmehr muß die soziale Beziehung den Beteiligten bewußt sein. Sie müssen "sinnhaft aufeinander eingestellt sein". Echte Beziehungs-verbrechen in diesem Sinne sind z. B. die Mißhandlung von Schutzbefohlenen, sexueller Mißbrauch von Schutzbefohlenen sowie Haus- und
Familiendiebstahl.
Sind die Beteiligten dagegen nicht "sinnhaft aufeinander eingestellt", spricht man von "Scheinsozialformen". Hier kommt es dem Täter weniger auf die Beziehung als solche an, als vielmehr auf den materiellen Wert, den das
Opfer vermittelt. In diesen Fällen handelt es sich um unechte Beziehungsverbrechen. Dazu zählen z. B. die meisten Diebstähle, Raub und Erpressung.
Eine klare Grenzziehung zwischen echten und unechten Beziehungsdelikten ist nicht immer möglich. So sind Tötungshandlungen (*Tötungskriminalität) zwar überwiegend echte Beziehungsdelikte, im Einzelfall können sie jedoch durchaus den unechten Beziehungsdelikten zuzuordnen sein. Lag z. B. der Tötungshandlung eine Konfliktsituation zwischen Täter und
Opfer zugrunde, so handelt es sich um ein echtes Beziehungsverbrechen. Anders ist es, wenn etwa ein Mensch getötet wird, ohne dass eine vordeliktische, tatrelevante soziale Beziehung vorlag. Danach wäre z. B. ein Raubmord i. S. der hier vertretenen Definition als unechtes Beziehungsverbrechen zu qualifizieren.
Die kriminalistisch-kriminologische Bedeutung der Wertung einer Tat als Beziehungsverbrechen liegt darin, dass das
Opfer in solchen Fällen häufig gute Anknüpfungspunkte zur Tataufklärung und Täterüberführung bietet.
Dunkelfeldforschungen deuten jedoch darauf hin, dass mit zunehmender Enge des Bekanntheitsgrades zwischen Täter und
Opfer die Anzeigebereitschaft des Geschädigten sinkt, wodurch die Tataufklärung erschwert wird (*
Anzeigeverhalten, *
Dunkelfeldforschung). Hinzu kommt, dass sich gerade bei dieser Deliktskategorie die Beweisgewinnungs- und verwertungsverbote der Strafprozeßordnung, wie etwa das Zeugnis- und Untersuchungsverweigerungsrecht des
Opfers, dahingehend auswirken können, dass der Strafverfolgungsanspruch des Staates hinter dem Schutz der sozialen Beziehung zurücksteht. Diese Rechtsgüterabwägung verfolgt auch das materielle Strafrecht durch den Strafantrag des Geschädigten als Prozeßvoraussetzung in bestimmten Fällen (z. B. Schutz des
Familienfriedens, § 247 StGB).
Es bleibt jedoch festzustellen, dass durch repressive Mittel und Methoden lediglich die sichtbaren Symptome des Beziehungsverbrechens zu bekämpfen sind. Notwendig im Sinne einer präventiven
Kriminalpolitik ist es, die eigentlichen, den Beziehungsverbrechen zugrundeliegenden Ursachen der Konflikte, wie
Armut, Arbeitslosigkeit, Isolation, Anonymität und Zukunftsangst durch geeignete gesellschafts- und sozialpolitische Maßnahmen zu minimieren.
Literatur:
- Glatzel, J.: Mord und Totschlag. Tötungshandlungen als Beziehungsdelikte. Heidelberg 1987.
http://www.destatis.de/jetspeed/portal/cms/Sites/destatis/Internet/DE/Navigation/Statistiken/Bevoelkerung/Bevoelkerung.psml
Dieter Kettelhöhn