Einstellungen/Vorurteile Einstellung ist der allgemeine Oberbegriff für: (1.) die erworbene (erlernte) Bereitschaft einer bestimmmten Person oder Gruppe, ein anderes Objekt in einer bestimmten Weise zu bewerten und (2.) auf dieses andere Objekt mit bestimmten Gefühlen, Wahrnehmungen, Vorstellungen und Verhaltensweisen zu reagieren (*
Alltagstheorien). Das aus der Sozialpsychologie stammende Konzept der Einstellung ist problematisch, da weder eine einheitliche wissenschaftliche Definition des Begriffs, noch ein alles umfassender theoretischer Rahmen des Konzepts existiert, sondern die theoretischen Ableitungen sich vielmehr an dem für die konkrete Fragestel-lung (Forschung) definierten Begriff orientieren.
Demgegenüber sind Vorurteile die Ausprägung negativer, unbewiesener Einstellungen gegenüber bestimmten Objekten (Sachen, Personen, Ideen), die auch nach dem Beweis des Gegenteils nur schwer veränderbar sind. Diese Vorurteile können sich in kognitiver Weise (Vorstellungesebene: z.B. "alle langhaarigen Jugendlichen sind schlechte Menschen"), affektiver Weise (Gefühlsebene: z.B. "vor langhaarigen Jugendlichen habe ich immer Angst") oder konativer Weise (Verhaltensebene: z.B. "wenn ich langhaarige Jugendliche auf der Straße sehe, ändere ich meinen Weg") äußern.
Die wesentlichen Funktionen von Vorurteilen bestehen in der Stabilisierung des Selbstwertgefühls sowie der Verdrängung von Unsicherheiten und Ängsten. Damit hängt der Umfang der Vorurteilsstruktur eines Menschen erheblich mit der Festigkeit seiner eigenen (privaten, beruflichen und gesellschaftlichen) Identität zusammen. Vorurteile können einerseits der Bekräftigung der eigenen Konformität mit der gewählten gesellschaftlichen Bezugsgruppe dienen. Sie können andererseits zur Verdrängung einer erforderlichen, inhaltlichen Auseinandersetzung mit dem Zielobjekt genutzt werden. Zum Objekt von Vorurteilen werden deshalb i.d.R. gesellschaftliche Minderheiten und/oder *
Randgruppen gewählt, deren marginaler Status durch eine geringe soziale und politische
Macht gekennzeichnet ist (z.B. Kriminelle, Behinderte, Homosexuelle, Ausländer, Obdachlose, aber auch Kinder, Alte und Frauen) sowie die eigene gesellschaftliche Integrität in Frage stellende Gruppen (z.B. staatliche Kontrollorgane oder soziale Bewegungen). Durch solche Vorurteile kommt es zu *
Stigmatisierungen.
Die Erforschung von Einstellungen und Vorurteilen erfolgt üblicherweise mittels standardisierter Fragebogen oder standardisierter Interviews *Forschungsmethoden). Im kriminologischen Bereich sind hier die Forschungen zu Einstellungen der Bevölkerung gegenüber
Strafen (z.B. die jährlichen Befragungen zur
Todesstrafe, aber auch zur Generalprävention (z.B. Schumann u.a. 1987), oder informellen Konfliktlösung (z.B. Sessar u. a. 1986), zur Inneren Sicherheit (z.B. Kerner 1980) oder zur Schwereein-schätzung von Delikten (z.B. Villmow 1977) zu nennen. Die Ergebnisse von Einstellungsforschungen sind insofern problematisch, als oft eine Einheit von Einstellung und Handeln attestiert wird. So können Menschen sich etwa durchaus für informelle Konfliktlösung als Alternative zu formellen
Strafverfahren ausprechen. Ob sie als von konkreten Straftaten Betroffene dann allerdings auch so handeln, ist eine andere Frage. Das gleiche gilt im übrigen auch für die nach spektakulären Verbrechen immer wiederkehrende Debatte um die *
Todesstrafe. Gerade im Bereich der Sanktionsforschung zeigt sich in neueren Untersuchungen, dass *
Opfer von Straftaten weitaus weniger rigide Vorstellungen zu den Formen der Lösung des Konfliktes haben als Nichtopfer.
Literatur:
- Estel, B.: Soziale Vorurteile und soziale Urteile. Opladen 1983.
- Kerner, H.J.: Kriminalitätseinschätzung und innere Sicherheit. Wiesbaden 1980 (BKA Forschungsreihe Bd. 11).
- Meinefeld, W.: Einstellung und soziales Handeln. Reinbek 1977.
- Schäfer, B.; Six, B.: Sozialpsychologie des Vorurteils. Stuttgart u.a. 1978.
- Schumann, K. u.a.: Jugendkriminalität und die Grenzen der Generalprävention. Neuwied und Darmstadt 1987.
- Sessar, K. u. a.: Wiedergutmachung als Konfliktparadigma. Kriminologisches Journal 1986, 86-104.
- Villmow, B.: Schwereeinschätzung von Delikten. Berlin 1977.
Entnommen mit freundlicher Genehmigung des
Kriminalistik-Verlages Heidelberg aus der gedruckten Version des Kriminologie-Lexikons, Stand der Bearbeitung: 1991
Helmut Janssen