Genetischer Fingerabdruck Genetischer Fingerabdruck ist ein gentechnisches Verfahren, das der Identifizierung von Personen anhand von Körpersekreten, Blut, Haaren oder Gewebeteilen dient. Der Begriff setzt sich zusammen aus "Genetik" und "Fingerabdruck". "Genetik" stammt aus dem Griechischen und ist die "Wissenschaft von der Vererbung". Kriminalbiologischen Forscher sprechen von "DNA-Typisierung". Vor allem in kriminalistisch-rechtsmedizinischen Zusammenhängen werden Individualidentifizierungen von Personen eingesetzt, etwa zur Prüfung von Tatortspuren. Findet sich in einer biologischen Spur (Blut, Sperma, Haare, Speichel, Haut, auch Hautzellen) derselbe genetische Fingerabdruck wie in einer Vergleichsprobe einer verdächtigen Person, so können Person und Tatort einander zugeordnet werden. Ebenso gilt dies für Zuordnungen von Tatorten zu Tatorten (bei Serientaten) und von Personen zu Personen, z.B. bei biologischen Spuren desselben Täters an mehreren
Opfern. Bei den Untersuchungen werden kleine Teile der Erbsubstanz DNA im Labor dargestellt. Eine DNA-Typisierung mit anschließendem Vergleich der Daten nennt man Identifizierung.
Die DNA ist die Erbsubstanz des Menschen. Sie ist in 23 Chromosomenpaare organisiert in Form eines langen Molekül-Doppelstranges, die sich in den Kernen aller Körperzellen befindet. Es handelt sich um eine Säurekette, die aus circa drei Milliarden Basenpaaren in einer unendlichen und scheinbar zufälligen Abfolge von nur vier Buchstaben besteht. In längeren oder kürzeren Sequenzen bilden zusammenhängende DNA-Stücke circa 30.000 Gene, die auf der DNA und den Chromosomen unterschiedlich verteilt sind. Zusammen bilden diese Gene das Genom. Bei etwa 5 % der DNA handelt es sich um solche, die den Aufbau und die Funktion des Organismus erforderlichen Informationen in Form von Genen enthalten. Hierbei handelt es sich um sogenannte kodierte Bereiche. Nach dem heutigen Stand der Wissenschaft haben die verbleibenden 95% diesbezüglich keinen Informationsgehalt. Die für die
Kriminalistik derzeit relevanten Merkmalsysteme befinden sich sowohl in den kodierten als auch in den nicht kodierten Bereichen der DNA. Unter anderem durch die Länge der jeweiligen DNA-Abschnitte, bedingt durch die unterschiedliche Anzahl von Wiederholungen einer sogenannten Kernsequenz, unterscheiden sich die Einzelmerkmale voneinander. Ein weiterer Anwendungsbereich für DNA-Typisierungen sind Verwandtschafts-, insbesondere Vaterschaftsuntersuchungen. Weil die Erbsubstanz eines Menschen jeweils zur Hälfte vom biologischen Vater und der biologischen Mutter stammt, kann durch DNA-Typisierung und DNA-Vergleich z. B. die Abstammung des Kindes bestimmt werden.
Der Augustinerpater Johann Gregor Mendel war bereits 1854 Entdecker der grundlegenden Gesetze der Genetik. Er hat nach Kreuzungsversuchen an Erbsen die Gene als Elemente definiert, die von den Eltern auf die Nachkommen nach bestimmten Regeln vererbt werden. Die Entdeckung der DNA als Träger der Erbinformationen ist durch den Kanadier Oswald Theodore Avery auf das Jahr 1944 datiert. 1953 klärten der britische Biochemiker Francis Crick und sein amerikanischer Kollege James Watson die Struktur des menschlichen Erbguts auf. Sie entdeckten die DNA-Doppelhelix. Das Interesse der Biochemiker hat sich allerdings eher auf die Funktion des menschlichen Lebens bezogen. Dass die Informationen eventuell kriminalistischen Nutzen haben könnten, so weit vermochte man zum damaligen Zeitpunkt noch nicht zu denken. 1984 hat schließlich der britische Humangenetiker Sir Alec Jeffreys Abschnitte in der DNA entdeckt, die nicht auf Aussehen und Persönlichkeit des Untersuchten hindeuteten, aber dennoch Muster aufwiesen, die jeden Menschen eindeutig zu identifizieren vermochten.
In Großbritannien und den USA ist der Genetische Fingerabdruck in Strafprozessen als Beweismittel zur Identifizierung oder zum Ausschluss eines Tatverdächtigen bereits seit 1987 zugelassen. Auch in der deutschen Rechtsordnung sind mittlerweile im Strafprozessrecht spezifische Regelungen über genetische Untersuchungen enthalten. Bei der Feststellung, Speicherung und Verwendung des DNA-Identifizierungsmusters handelt es sich um einen Eingriff des "Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung" gemäß Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG. Der BGH hat im Jahre 1990 in einem Grundsatzurteil die prinzipielle Zulässigkeit der DNA-Analyse von nicht codierten Abschnitten zu Beweiszwecken im
Strafverfahren bestätigt. 1997 ist in Deutschland erstmals eine rechtliche Regelung der Voraussetzungen für den Einsatz des Genetischen Fingerabdrucks in Kraft getreten, das
Strafverfahrensänderungsgesetz DNA-Analyse. Der neugeschaffene § 81e StPO ermöglicht seitdem die molekulargenetische Untersuchung von gewonnenem Körpermaterial "zur Feststellung der Abstammung oder der Tatsache, ob aufgefundenes Spurenmaterial von dem Beschuldigtem oder dem Verletzten stammt". Zeitnah zur Einrichtung der bundesweiten DNA-Typisierungs-Datenbank des
Bundeskriminalamts im April 1998 ist schließlich das DNA-Feststellungsgesetz verabschiedet worden, das eine kriminalistisch wünschenswerte Erweiterung des zu untersuchenden Personenkreises bei Straftaten, zur Feststellung der Identität oder zur Bestimmung von Verwandtschaften beinhaltet. Wird die Identität einer Person ermittelt, so muss gegen sie der begründete Verdacht einer Straftat erheblicher Bedeutung gerichtet sein, etwa
Terrorismus, Vergewaltigung, Menschenhandel, Mord oder Totschlag.
Eine Übereinstimmung von DNA-Profilen in der bundesweiten Datenbank ist eine schnelle und genaue Ermittlungshilfe, aber kein für sich allein stehender Beweis, der vor Gericht in dieser Form die Stellungnahme und Befragung eines Experten ersetzen darf. Gegenwärtig bestehen also die rechtlichen Möglichkeiten der Durchführung vergleichender molekulargenetischer Untersuchungen (DNA-Analyse) in aktuellen
Strafverfahren, die Durchführung der DNA-Analyse zu erkennungsdienstlichen Zwecken und das Einstellen der DNA-Identifizierungsmuster von Tatortspuren und Personen in die bundesweite DNA-Analyse Datei. Untersagt sind gemäß § 81 e StPO alle weiter gehenden -biologisch möglichen- Feststellungen, z.B. zu Erbanlagen, Persönlichkeitsmerkmalen oder ethnische Zugehörigkeit des Spurenlegers. Flächendeckende Massen-DNA-Tests sind gesetzlich nicht geregelt. Im Zivilrecht sind die Erlangung von DNA-Material und dessen molekulargenetischen Untersuchung unter zivilprozessgesetzlich näher bestimmten Voraussetzungen (§ 372 a ZPO) zulässig und können gerichtlich veranlasst werden, um die Abstammung einer Person festzustellen. DNA-Gutachten sind nach der Rechtsprechung i.d.R. geeignet, bei der Feststellung einer Vaterschaft Zweifel auszuschließen. Nach aktueller Rechtssprechung des Bundesgerichtshof und des Bundesverfassungsgericht ist eine heimlich veranlasste Vaterschaftsanalyse rechtswidrig. Auf diese Art eingeholte Abstammungsgutachten sind zu diesem Zweck nicht verwertbar. In der Arbeitsmedizin unterliegt die Anwendung genetischer Verfahren in Deutschland keiner gesetzlichen Regelung. Seit Jahren wird kontrovers diskutiert, ob genetische Untersuchungen an Arbeitnehmern zulässig sind. Auch im Versicherungsrecht gibt es in Deutschland keine spezifischen gesetzlichen Regelungen zum Umgang mit genetischen Daten. Private Krankenversicherer sowie auch Lebensversicherungsunternehmen in Deutschland haben sich dazu bereit erklärt, im Wege der Selbstverpflichtung auf die Offenlegung der Ergebnisse prädiktiver Gentests zu verzichten.
Seit 1995 entstehen in immer mehr Ländern der Welt DNA-Datensammlungen (Datenbanken), was das Vergleichen tausender DNA-Typen von Menschen und Tatorten erst ermöglicht. In Europa haben inzwischen 20 Länder eine nationale DNA-Datenbank eingerichtet haben. Die deutsche DNA-Analysedatei ist bei
Bundeskriminalamt angesiedelt. Ende 2007 umfasste sie gemäß der Internetpräsenz des BKA einen Bestand von 648644 Datensätzen. Diese Gesamtzahl setzt sich zusammen aus 524782 Personendatensätzen und 123862 Spurendatensätzen. Jeden Monat werden mehr als 9.000 neue Datensätze in der DNA-Analyse-Datei erfasst.
Kritik
Hinsichtlich der Zugverlässlichkeit von DNA-Untersuchungen streiten sich die Gelehrten. Stolze gibt Zahlen von einer Treffergenauigkeit von 0,00001% (also eins zu eine Million), wobei der Test mit einer 0,0001%igen Wahrscheinlichkeit eine Übereinstimmung anzeigt, obgleich diese nicht vorliegt. Geht man von 10 Millionen Menschen aus, die als Täter in Frage kommen, würden 110 positiv getestet werden, von denen aber nur einer der Täter ist. Benecke gibt an, dass ein vollständiger genetischer Fingerabdruck zu einer weltweiten Individualisierung des Täters führt, gibt aber zu bedenken, dass oftmals nicht der gesamte genetische Fingerabdruck an Spuren gesichert werden kann.
Diverse Kritiker sind zudem der Auffassung, dass der Genetische Fingerabdruck die Persönlichkeit gänzlich erfassen könne und die Einrichtung der DNA-Analyse-Datei insoweit die Gefahr berge, dass ein "gläserner Mensch" geschaffen würde. Es gibt Theorien, dass die Genanalyse Veranlagungen wie Gewalttätigkeit, Sucht, Fettleibigkeit oder gar Homosexualität verraten könnte. In Bezug auf derartige Untersuchungen sind Parallelen zu Lombrosos Theorie vom geborenen Verbrecher erkennbar. Lombroso urteilte einst, dass der Verbrecher an physischen Anomalien zu erkennen wäre. Er ebnete den Weg für Forschungen, die die Kriminalität auf ererbte Anlagefaktoren zurückführt. Lombrosos Lehre vom geborenen Verbrecher ist zwar widerlegt worden, nicht aber, dass die Vererbung in der Ursachenforschung eine Rolle spielt. Aufgrund dessen wurden später unter anderem die Zwillingsforschung und auch Untersuchungen über das XYY-Chromosom - der sogenannten kriminellen Anlage bei betroffenen Männern - durchgeführt. Genanalysen mit dem Hintergrund der
Kriminalprognose mögen Wissenschaftler faszinieren, es stellt sich aber die Frage, ob die Gefahren oder der Nutzen überwiegen. Eine Ausgrenzung oder
Stigmatisierung betroffener Individuen ist so denkbar, obwohl lediglich statistisch gesehen die Veranlagung zu erhöhter Gewaltbereitschaft besteht.
Literatur:
- Benecke, M. - Dem Täter auf der Spur - so arbeitet die moderne Kriminalbiologie, Bergisch Gladbach, 2007
- Brodersen/Anslinger/Rolf, DNA-Analyse und
Strafverfahren, München, 2003
- Neuser, M., Rechtsfragen der DNA-Analyse zum Zwecke der DNA-Identitätsfeststellung im künftigen
Strafverfahren, Baden Baden, 2006
- Stolze, Die fremde Welt der Zahlen aus DIE ZEIT 33/2002
- Vath, A., Der genetische Fingerabdruck zur Identitätsfeststellung in künftigen
Strafverfahren, Baden Baden, 2003
Schlüsselwörter
DNA-Typisierung
DNA-Analyse
Vaterschaftstest
Veranlagung
Identifizierung
gläserner Mensch
Axel Voß