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Gewalt gegen Kinder
 
Gewalt gegen Kinder ist ein Oberbegriff der heutzutage vorrangig dazu tauglich ist, um an die Schutzbedürftigkeit von Kindern zu appellieren – Gewalt schädigt und Kinder sind vor Gewalt zu schützen. Im § 1631 Abs.2 BGB heißt es: „Kinder haben ein Recht auf gewaltfreie Erziehung. Körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig“. Dieses Leitbild ist nicht selbstverständlich, der Gewaltdiskurs ist vielmehr stets ein „Kind seiner Zeit“. Während bis in die 50er Jahre das sogenannte elterliche Züchtigungsrecht im Bürgerlichen Gesetzbuch verankert war und zudem körperlich wirkende Strafen in der Heimerziehung sowie in Schulen bis zu einem gewissen Grad durchaus zum Alltag gehörten, hat sich indes ein deutlicher Einstellungswandel vollzogen.
Ein Ausdruck davon kann ein Hilfsfonds sein, mit Entschädigungsleistungen für Personen, die als Kinder in Heimen misshandelt wurden. Wenn Erwachsene über früher erlittene massive Übergriffe durch Vertrauenspersonen berichten, kann dies heutzutage öffentlichkeitswirksam passieren. Werbekampagnen wie zum Beispiel zu „Mehr Respekt vor Kindern“ sowie zum Kinderschutz im Internet erzielten zudem Aufmerksamkeit und regen in der Bevölkerung zum Nachdenken an, wie man Kinder zukünftig vor Gewalt schützen kann.
 
Gewalt an Kindern hat vielfältige Ausprägungen. In das öffentliche Interesse geraten sind, neben gewalttätigen Erziehungsmethoden und sexueller Gewalt an Kindern, zudem verstärkt kindergefährdende Phänomene wie Mobbing und Gewaltpräsentationen per links und downloads. Im Zusammenhang mit Armutsentwicklungen in Familien und ihre möglichen negative Folgewirkungen für kindliche Entwicklungschancen wird zudem bisweilen der Begriff der strukturellen Gewalt gegen Kinder verwendet. Erwähnt werden sollen hier zudem Auswirkungen der Globalisierung, transnationale Kinderarbeit und –prostitution als gravierende Formen von Gewalt gegen Kinder.
 
Der Schutz von Kindern kann durch juristische Maßnahmen befördert werden. Hier gibt es auf internationaler Ebene insbesondere die Kinderrechtskonvention (1992) zu benennen. In Deutschland wurde nach längerer kontroverser Debatte das Gesetz zur Ächtung von Gewalt in der Familie (2000) verabschiedet, mit seinem hier eingangs zitierten § 1631 Abs. 2 BGB. Es folgte ein Gewaltschutzgesetz (2002). Zudem traten auf Länderebene Veränderungen im Polizeirecht sowie Regelungen von Schulbehörden zur verbindlichen Meldung von Gewaltvorfällen in Kraft. Das Zeugenschutzgesetz (1998) verankert Rechte von Kindern bei Vernehmungen und als Meilenstein zur Prävention von Gewalt gegen Kinder gilt zudem der Schutzauftrag bei Kindeswohlgefährdung (2005) gemäß § 8a SGB VIII. Mit dem § 8a SGB VIII konnten Verfahrensschritte bei gewichtigen Anhaltspunkten für die Gefährdung des Wohls eines Kindes oder Jugendlichen konkretisiert werden. Festgelegt wurde zudem im § 8a zur Gefährdungsabschätzung die Beteiligung einer insoweit erfahrenden Fachkraft für alle Träger der Kinder- und Jugendhilfe.
 
Eine spezielle Statistik, die erkennen lässt wie viele Kinder Opfer von Gewaltformen und Gefährdungslagen werden, existiert nicht in Deutschland. Es gibt flankierende statistische Werte: Die polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) weist jährlich ihre polizeilich ermittelten Tatverdächtige zum § 171 StGB (Verletzung der Fürsorge- und Aufsichtspflicht), zu §§ 176 ff. StGB (Sexueller Missbrauch von Kindern) aus, sowie zum § 225 StGB (Misshandlung von Schutzbefohlenen). Zu finden sind in der PKS zudem Angaben über polizeilich ermittelte Opfer, nach Alter und Geschlecht, beispielsweise zu Körperverletzungsdelikten. Zur Einschätzung wie viele Kinder von Gewalt betroffen sind, reicht die PKS jedoch bei weitem nicht aus. Dies liegt an der Vielfalt von Gewaltformen und des Weiteren ist, wie anonymisierte Opferbefragungen veranschaulichen, das Dunkelfeld bei Gewaltdelikten als signifikant hoch einzuschätzen.
 
Zur Einschätzung von familiären Lebenswirklichkeiten bezogen auf Normabweichungen bietet sich mit Kinder- und Jugendhilfestatistik ein Blickwinkel jenseits des Strafrechtes an, der Tendenzen der Inanspruchnahme erzieherischer Hilfen aufzeigt. Zudem ist die Zahl der Sorgerechtsentzüge bei Gefährdung des Kindeswohls jährlich über das Statistische Bundesamt abrufbar. Während körperliche und psychische Bestrafungen nicht mehr als „normal für den Erziehungsalltag“ beurteilt werden, geraten hingegen seit 2004 immer deutlicher Einzelfälle gravierender Kindesmisshandlungen und –vernachlässigungen mit Todesfolge in den Fokus der allgemeinen wie fachspezifischer Aufmerksamkeit. Die Prävention von Gewalt gegen Kinder ist als gesellschaftlich notwendig anerkannt und soll ernsten Gefährdungslagen von Kindern entgegenwirken. Sie steht jedoch in einem Konflikt, der in der Fachöffentlichkeit auch wiederum breit diskutiert wird: Einerseits sollen vorschnelle Eingriffe vermieden werden, andererseits sind Kinder vor Gewalt zu schützen. Dies gilt insbesondere für den Privatraum der Familie. Zu unterscheiden sind zwei aktuelle Präventionsausrichtungen: a) Die Unterstützung von Eltern(-teilen) im Allgemeinen mittels des Angebots von Kursen, Beratung und Besuchen nach der Geburt und b) Projekte, die sich vorrangig an Eltern(-teile) mit bestimmten Risikofaktoren richten und ihre Leistungen nach diesen familiären Risiken jeweils gezielt ausrichten. Bundesweit werden zudem neue Standards zur Vernetzung von Hilfeleistungen des Sozial- und Gesundheitswesens, ggf. auch mit Vertretern von Schule, Polizei und weiteren Akteuren gesetzt und erprobt. Damit können auch unterschiedliche Ausprägungen von Gewaltformen im Zusammenwirken des Einzelfalls gezielter erfasst werden - wiederum sind hierbei datenschutzrechtliche Grenzen und professionstypische Eigenheiten zu achten.
 
Aber auch die beste Prävention kann nicht gänzlich vor Gewalt gegen Kinder schützen – totaler Schutz würde eine gänzliche Überwachung von Orten und Personen, an denen und mit denen Kinder Zeit verbringen, voraussetzen. Jedoch kann viel getan werden um Kindern ein gesundes Aufwachsen in Familien und bei Institutionen zu ermöglichen. Je präsenter an die vielfältige Schutzbedürftigkeit von Kindern appelliert wird, so die implizite Hoffnung von Präventionsbemühungen, umso geringer die Gefahr des Wegschauens von Menschen, die helfen könnten.
 
Literatur: BMFSFJ und BMJ (2003): Gewaltfreie Erziehung. Eine Bilanz nach Einführung des Rechts auf gewaltfreie Erziehung, o.V.
 
BMFSFJ (Hrsg.) (2009): Lernen aus problematischen Kinderschutzverläufen. Machbarkeitsexpertise zur Verbesserung des Kinderschutzes durch systematische Fehleranalyse, o.V.
 
Deegener, G./Körner, W. (Hrsg.) (2005): Kindesmisshandlung und Vernachlässigung. Ein Handbuch, Hogrefe Verlag
 
Steffes-enn, R./ Hoffmann J. (Hrsg.) (2010): Schwere Gewalt gegen Kinder. Risikoanalyse und Prävention, Verlag für Polizeiwissenschaft
 

Christine Burmeister
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