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Innere Sicherheit
 
‚Innere Sicherheit' bezeichnet den Anspruch und die Bemühung um den Schutz der Bürger eines Staatswesens vor Verhaltensweisen, die als kriminell gelten und mit Strafe bedroht sind. Es geht de jure neben dem Schutz der Unversehrtheit von Leben, Gesundheit, Ehre, Freiheit und Vermögen der Bürger gleichwohl um den Schutz der Rechtsordnung und Einrichtungen des Staates. ‚Innere Sicherheit' ist jedoch nicht nur als ein rechtliches Konstrukt, sondern auch ein politisches und mediales zu verstehen. Gerade auch in dieser Hinsicht ist sie Gegenstand eines fortgesetzten Ringens um die Durchsetzung bestimmter Definitionen und Inszenierungen von Unsicherheit bzw. Sicherheit zu Zwecken, die auch jenseits der Erreichung und Erhaltung von Sicherheit liegen können. Schließlich ist ‚innere Sicherheit' stets nicht nur eine Frage des Gewährleistungsversprechens gegenüber rechtswidrigem Verhalten. Auch gegenüber rechtmäßigem Verhalten ist Sicherheit zu schützen, etwa im Konflikt zwischen bürgerlichen Freiheiten und staatlich-autoritären Maßnahmen oder im Fall von staatlich (mehr oder weniger intendiert) beförderten Gefahren und Unsicherheitslagen.
 
‚Inneren Sicherheit' wird durch Institutionen garantiert, die legitimiert sind, öffentliche Gewalt im Rahmen der Verfassung und anderer rechtlicher Regelungen exekutiv auszuüben, wenn nötig auch durch die Anwendung von Zwangsmitteln. Fasst man den Begriff der ‚Gewalt' weiter, so dass auch Formen ‚struktureller Gewalt' berücksichtigt werden können, dann sind Institutionen wie z. B. "Innenausschüsse" der Parlamente mit in Betracht zu ziehen. Fasst man den Begriff der ‚Legitimierung' weiter, dann müssen auch private - nicht unmittelbar demokratisch-staatlich legitimierte - Sicherheitseinrichtungen in den Blick genommen werden. Das Feld der ‚inneren Sicherheit' umfasst so besehen die tatsächliche, nicht nur die normativ-präskriptive Realität: Danach kooperieren die in jedem Gemeinwesen vorzufindenden Sicherheitsbehörden intensiv miteinander, werden von dazu legitimierten Institutionen politisch geleitet und kontrolliert, von politischen Gruppen beeinflusst und stehen sowohl mit den politischen Institutionen als auch den Einflussgruppen in prinzipiell kompromissbereiten Beziehungen.
 
Sicherheit als Ziel des Regierens war von grundsätzlicher Bedeutung bei der historischen Herausbildung des Territorialstaates. Noch heute akzeptieren in diesem Bereich selbst Vertreter staatskritischer Positionen staatliche Eingriffe. Der Begriff der ‚inneren Sicherheit' steht im Zentrum des politischen Selbstverständnisses der Moderne. Bereits den neuzeitlichen Naturrechtslehren hat das Problem der ‚inneren Sicherheit' einen thematischen Schwerpunkt vorgegeben. Thomas Hobbes hat die Lösung dieses Problems zum Prüfstein für die Frage nach der Herrschaftslegitimation macht. Die sicherheitspolitische Gewährleistung individueller Handlungsfreiheit blieb auch für die nachkommenden liberalen Vertragstheoretiker von Locke bis Kant ein zentrales Motiv für die Rechtfertigung der Ausübung staatlichen Zwangs. Jede Form sicherheitspolitischer Freiheitsbeschränkung im Namen der Staatsräson muss indes ihrer Funktion nach auf die Autonomie der Handlungssubjekte bezogen bleiben. Die Entwicklung des modernen Sicherheitsgedankens geht einher mit der Etablierung des Menschenrechtsgedankens. Zentral ist der jedem Gesellschaftsmitglied zugesprochene Schutz für die Erhaltung seiner Person, seiner Rechte und seines Eigentums. Das Verständnis von ‚innerer Sicherheit' in der Tradition der Menschenrechtsidee wurde im Verlauf des 19. Jahrhunderts von polizeirechtlichen Bestimmungen und durch entsprechende Konzepte der ‚öffentlichen Sicherheit' und ‚öffentlichen Ordnung' verdrängt. ‚Innere Sicherheit' wird hiernach auf Gefahrenabwehr reduziert, wobei insbesondere der Schutz des Einzelnen vor Verbrechen und den Schutz der staatlichen Einrichtungen und der demokratischen Grundordnung im Mittelpunkt steht. Der Begriff ‚Sicherheitspolitik' war bis in die 1980er Jahre eher mit dem Feld der Außenpolitik assoziiert.
 
Von ‚Innerer Sicherheit' wird sowohl im normativen als auch im empirischen Sinne gesprochen. Gerade beim Gebrauch dieses politisch stark aufgeladenen und konfliktträchtigen Begriffs ist genau zu prüfen, ob er erstens im Sinne einer als notwendig erachtete Aufgabe des Staates verwendet wird, wonach der Staat seine Bürger vor Übergriffen zu schützen und den ‚inneren Frieden' des Staates zu bewahren habe (normativ-affirmative Position), zweitens ob ‚innere Sicherheit' im Gegenteil angesprochen ist als Herrschaftsanspruch des Staates, der zu Übergriffen neigt gegenüber seinen Bürgern, wogegen politisch und bürgerrechtlich zu kämpfen sei (normativ-kritische Position). Im Unterschied dazu benötigt und verwendet die Forschung einen empirischen Begriff, der ein Phänomen beschreiben will (empirisch-deskriptive Position), ohne von vornherein oder im Ergebnis darüber entscheiden zu müssen, ob ‚innere Sicherheit' wünschens- oder verdammenswert ist.
 
Die historische Wandlungsfähigkeit des Verständnisses von ‚innerer Sicherheit' kann als Ausdruck dafür gelten, dass der Diskurs um ‚innere Sicherheit' immer auch von gesellschaftlichen Interessen und Machtkonstellationen durchdrungen ist. Zugleich ist ‚innere Sicherheit' begleitet von Phänomenen wie etwa der ‚Kriminalitätsfurcht'. Weder Sicherheit noch Furcht existieren per se ("objektiv"). Sie sind vielmehr das Produkt der politischen und soziokulturellen Konstruktion von Bedrohung und Bedrohungsbewältigung.
 
Literatur:
 
- Glaeßner, G.-J. 2003: Sicherheit in Freiheit - Die Schutzfunktion des demokratischen Staates und die Freiheit der Bürger, Opladen
- Hitzler, R./Peters, H. (Hg.) 1998: Inszenierung: Innere Sicherheit. Opladen
- Isensee, J. 1983: Recht auf Sicherheit: zu den Schutzpflichten des freiheitlichen Verfassungsstaates; Vortrag gehalten vor der Berliner Juristischen Gesellschaft am 24. November 1982 (erw. Fassung), Berlin
- Lange, H.-J. 2000: Innere Sicherheit als Netzwerk, in: ders. (Hg.), Staat, Demokratie und Innere Sicherheit in Deutschland, Opladen, 235-255
- Wurtzbacher, J. 2004: Sicherheit durch Gemeinschaft? Bürgerschaftliches Engagement für öffentliche Sicherheit, Opladen
 

Peter Stegmaier
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