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Jugendforschung
 
Jugendforschung beschäftigt sich mit der maßgeblichen Lebensphase Jugendlicher und junger Heranwachsender für die Persönlichkeitsentwicklung und Identitätsstabilisierung. Die Erforschung der Lebenslagen Jugendlicher nimmt äußere Einflüsse aus der (sozialen und institutionellen) Umwelt sowie die aktive individuelle Gestaltung durch Jugendliche selbst in den Blick.

Wo fängt Jugend an – wo hört sie auf? Die Abgrenzung zwischen Kindheit, Jugend und Erwachsensein erfolgt aufgrund der historischen Entwicklung (Wandel und Verlängerung der jugendlichen Lebensphase) und innerhalb der verschiedenen Fachdisziplinen unterschiedlich. So wird Jugend (bzw. Adoleszenz, Moratorium, Transition) in der soziologischen Forschung zwar meist mit der Altersgruppe der 12- bis 25-Jährigen gleichgesetzt – die Alterspannen variieren jedoch (gerade im Hinblick auf das Ende). In der Jugendsoziologie gilt Jugend als strategische Phase, in der die Jugendlichen versuchen, in einem Prozess des Aushandelns und Entwickelns ihre eigene Biographie in der Auseinandersetzung mit der Umwelt aktiv zu konstruieren. Jugend ist aber aus sozialwissenschaftlicher Sicht gleichzeitig auch eine gesellschaftliche Konstruktion, die durch kulturelle Werte, Normen und rechtliche Regelungen definiert wird und in der sozial-kulturelle Gegebenheiten das Handeln der Jugendlichen beeinflussen. Psychologische Ansätze berücksichtigen insbesondere soziale Entwicklungsaufgaben und verbinden diese mit der psychischen (z.B. Stufenmodell von Erikson, Stufe 5: Identität vs. Identitätsdiffusion) und körperlichen Reifungsphase (Pubertät) vom Kind zum Erwachsenen. Rein juristisch ist „Jugend“ genau definiert. Der persönliche Anwendungsbereich des Jugendgerichtgesetzes (JGG) erstreckt sich auf Jugendliche von 14-18 Jahren (uneingeschränkte Geltung) und auf Heranwachsende von 18-21 Jahren (Voraussetzungen des § 108 müssen erfüllt sein). Zudem gibt es in der Kriminalrechtspflege den Begriff „Jungerwachsener“, der die Jahre 21-24 umfasst. Fazit: Jugend bezeichnet die Übergangsphase von der Kindheit zum Erwachsenenalter.

Jugend als Forschungsgegenstand: Die relativ junge Wissenschaft nimmt einen großen Stellenwert in der deutschen sozial- und geisteswissenschaftlichen Forschungslandschaft ein. Je nach Wissenschaftsrichtung [Erziehungswissenschaften, Psychologie, Soziologie, Pädagogik] befasst sich Jugendforschung mit Faktoren gelungener Entwicklung und positiven Einflüssen der Jugendlichen auf die Gesellschaft gleichwie mit der Entwicklung von Strategien zur Lebensbewältigung (Hurrelmann 2006). Dies sind Strategien, die Jugendliche gerade im Umgang mit der fortschreitenden Individualisierung und Pluralisierung (Beck 1986, Heitmeyer 1995) immer wieder neu entwickeln müssen. Des Weiteren beschäftigt sich Jugendforschung auch mit möglichen ‚Problemlagen und Problemen’ sowie jugendlichem Risikoverhalten (Jugendsoziologie) bis hin zu Formen abweichenden Verhaltens Jugendlicher (Kriminologie, → Jugendkriminalität). Traditionell betrachten Untersuchungen der Jugendforschung Einstellungen (und deren Wandel) von Jugendlichen bezüglich zentraler gesellschaftlicher Themen wie Religion, Politik (Schelsky 1957), Jugendszenen und -kulturen (Zinnecker 1981) und Freizeit. Weitere Themen sind die Sinnsuche, die Suche nach Werten sowie die Identitätskonstruktion/ - arbeit Jugendlicher (Erikson 1988, Keupp 1999). Mit der Etablierung genderorientierter Forschung werden seit einiger Zeit auch geschlechtstypische Verhaltensweisen und Stereotypenbildung in der Jugend untersucht. Familie (in den verschiedenen Formen) als klassische Sozialisationsinstanz aber gleichzeitig auch die Gleichaltrigengruppe (Peer-Group) sind zwei weitere zentrale Themen der Jugendforschung. Mit der Vereinigung Deutschlands verstärkten sich die Forschungen zur Auswirkung sozialen Wandels sowie zu Rechtsextremismus und Gewalt.

Trends in der Jugendforschung: In den letzten Jahren sind weitere neue Themen hinzugekommen. Dazu zählen Untersuchungen zur Partizipation Jugendlicher – ihre gesellschaftliche Teilhabe (z.B. über Ehrenamt, Beteiligung an Nichtregierungsorganisationen) – zur räumlichen Mobilität Jugendlicher und ihrer Nutzung des öffentlichen Raumes. Weitere Studien nehmen Migration, Gesundheit oder zum Verhältnis zwischen den Generationen in den Blick. Die verlängerten Ausbildungszeiten führen dazu, dass auch das Thema Schule und Bildung vermehrt in der Forschung berücksichtigt wird (verstärkt durch internationale Bildungsstudien TIMSS 1997 und insbesondere PISA 2000, 2003, 2006), sowie auch der oftmals kritische Übergang in den Arbeitsmarkt. Medienkompetenz – der Umgang und die Nutzung von Medien durch Jugendliche – sowie Medienwirkungsforschung (u.a. Diskussion um sog. „Killer-Spiele“) sind relativ neue Gebiete der Jugendforschung.

Bekannte Studien: Ein grundlegendes Anliegen der Jugendforschung ist schließlich die Weiterentwicklung der Methodologien zur Jugendforschung. Hervorzuheben sind für Deutschland u.a folgende Studien: Shell-Jugendstudie (15. Welle 2006), DJI-Jugendsurvey (3. Welle 2004), ipos-Studie (4. Welle 2002) & Bremer Längsschnittstudie (1988-2001).

Fazit: DIE Jugendforschung gibt es nicht. Die unterschiedlichen Disziplinen, mit ihren je eigenen Zugängen, theoretischen Ansätzen und Fragestellungen sowie die problematische Definition der Jugend an sich, beleuchten aus ihrem je eigenen Blickwinkel die Lebensphase ‚Jugend’.

Ausgewählte Forschungsinstitute (national):
• Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ)
• Deutsches Jugendinstitut e.V. (DJI)
• Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung (IKG)
• Deutsches Institut für Internationale Pädagogische Forschung (DEPF)
• Zentrum für empirische pädagogische Forschung (ZEPF)

Verwendete Literatur:
Beck, U. (1986) Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne. Suhrkamp, Frankfurt.
Erikson, E. H. (1988) Der vollständige Lebenszyklus. Frankfurt a. M., 2.A. 1992.
Heitmeyer W. (1995) Gewalt. Schattenseiten der Individualisierung bei Jugendlichen aus unterschiedlichen Mileus. Juventa, Weinheim.
Hornstein, W. (1999) Jugendforschung und Jugendpolitik. Entwicklungen und Strukturen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Juventa, Weinheim.
Hurrelmann, K. (2006) Lebensphase Jugend. Eine Einführung in die sozialwissenschaftliche Jugendforschung. Juventa, 8. Auflage, Weinheim.
Keupp, H. u.a. (1999) Identitätskonstruktionen. Das Patchwork der Identitäten in der Spätmoderne. Rowohlt, Hamburg.
Merkens, H./ Zinnecker, J. (2005) Jahrbuch Jugendforschung. VS Verlag für Sozialwissenschaften, 5. Ausgabe.
Raithel, J. /Mansel, J. (2003) Gewalt und Kriminalität im Jugendalter. Juventa, Weinheim/München.
Schelsky, H. (1956, Hg.) Schule und Erziehung in der industriellen Gesellschaft. Würzburg.
Schumann, K.F. (2003, Hg.) Berufsbildung, Arbeit und Delinquenz. Bremer Längsschnittstudie zum Übergang von der Schule in den Beruf bei ehemaligen Hauptschülern. Band 1; Juventa-Verlag, Weinheim und München.
Schumann, K.F. (2003, Hg.): Delinquenz im Lebensverlauf, Bremer Längsschnittstudie zum Übergang von der Schule in den Beruf bei ehemaligen Hauptschülern. Band 2, Juventa-Verlag, Weinheim und München.
Zinnecker, J. (1981) Jugendliche und Kulturen. Ansichten einer zukünftigen Jugendforschung. In: Zeitschrift für Pädagogik, 27. Jg., 421-440.

Diana Ziegleder
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