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Jugendrecht/Jugendstrafrecht
 
Unter den Begriff „Jugendrecht“ werden in der Literatur unterschiedliche Rechtsbereiche zusammengefasst. Sie betreffen den Jugend- und Jugendmedienschutz, den Jugendarbeitsschutz, aber auch das Jugendstrafrecht. Allen gemein ist die Zielgruppe „Jugendliche“ und die Erkenntnis, dass Jugendliche in rechtlicher Hinsicht eine besonders schützenswerte bzw. besonders zu behandelnde Personengruppe ausmachen. Aus kriminologischer Sicht kommt dem Jugendstrafrecht eine besondere Rolle zu, weshalb es bei den weiteren Ausführungen im Vor-dergrund steht.
 
Das Jugendstrafrecht regelt die Art und Weise, wie auf strafrechtlich relevantes Verhalten von Jugendlichen und unter bestimmten Voraussetzungen auch von Heranwachsenden zu reagieren ist und findet seine Verankerung im Jugendgerichtsgesetz (JGG). Dieses Gesetz aus dem Jahr 1953 wurde letztmalig 1974 neu verfasst und seitdem mehrfach geändert. Voraussetzung für ein eigenes Jugendstrafrecht waren Erkenntnisse der Kriminologie über den engen Zusammenhang zwischen Sozialisationsprozess und Straffälligkeit bei Jugendlichen. Diese überzeugten den Gesetzgeber von der Notwendigkeit, die Voraussetzung für am jeweiligen Täter orientierte Reaktions- und Einwirkungsmöglichkeiten zu schaffen. Im Gegensatz zum Erwachsenenstrafrecht, das Art und Ausmaß der Sanktion grundsätzlich an der Tat festmacht, stellt das Jugendstrafrecht insofern ein Täterstrafrecht dar.
 
Gemäß § 1 JGG unterfallen dem Jugendstrafrecht Jugendliche, also Personen zwischen 14 und 17 Jahren, sowie Heranwachsende, Personen ab 18 und unter 21 Jahren, die eine Verfehlung begangen haben. Jugendliche können nur dann strafrechtlich verfolgt werden, wenn bei ihnen aufgrund ihrer geistigen und sittlichen Entwicklung eine genügende Reife vorliegt, das Unrecht der Tat einzusehen und danach zu handeln (§ 3 JGG). Heranwachsende unterliegen gem. § 104 JGG dann dem Jugendstrafrecht, wenn die Gesamtwürdigung ihrer Persönlichkeit ergibt, dass ihr Verhalten dem eines Jugendlichen gleichkommt (täterbezogenes Kriterium), oder die Tat der einer Jugendverfehlung gleicht (tatbezogenes Kriterium). Der Richter hat also in jedem Einzelfall eine Entscheidung zu treffen.
 
Das JGG spricht bewusst von Verfehlung und nicht von Straftaten, weil die Strafandrohung nach allgemeinen Strafvorschriften nur bedingt Berücksichtigung findet. Denn das vorrangige Ziel des Jugendstrafrechts ist nicht Vergeltung und Sühne, sondern die Verhinderung weiterer Straftaten durch den betroffenen jungen Menschen. Dies bringt der sog. Erziehungsgedanken zum Ausdruck, wie er in § 2 JGG formuliert ist und sich durch das gesamte Gesetz zieht. Dementsprechend orientieren sich Sanktionsauswahl und –bemessung stets an dem Ziel der Rückfallvermeidung und der diesbezüglichen Eignung und Erforderlichkeit. Konkret findet der Erziehungsgedanke seinen Niederschlag im Ablauf des Verfahrens bei Staatsanwaltschaft und Gericht, im Rechtsfolgensystem sowie in der Einbeziehung von Erziehungsberechtigten und Jugendgerichtshilfe in den Prozess.
 
Da die Strafandrohung des allgemeinen Strafrecht im JGG keine Beachtung findet, ist die Tat demnach nicht mit einer bestimmten Sanktion verbunden. Das JGG kennt drei Kategorien von Rechtsfolgen: die Erziehungsmaßregeln, die Zuchtmittel und die Jugendstrafe. Erziehungsmaßregeln dienen nicht der Ahndung der Tat, sondern der Erziehung des Täters zu einem rechtschaffenen Lebenswandel und setzen Erziehungsbedürftigkeit und -fähigkeit voraus. Hierzu gehören Weisungen, wie etwa das Erbringen von Arbeitsleistungen oder die Teilnahme an einem sozialen Trainingskurs, sowie die Anordnung, Hilfen zur Erziehung in Anspruch zu nehmen.
Zu den Zuchtmitteln zählen Verwarnung, Auflagen und Jugendarrest. Sie haben nicht die Rechtswirkung einer Strafe, sollen dem Jugendlichen jedoch verdeutlichen, dass er für das Unrecht seiner Tat einstehen muss. Gerade der Jugendarrest ist im Hinblick auf die erwartete Wirkung aus kriminologischer Sicht sehr umstritten. Wie Untersuchungen zeigen, führt das in Form eines Freizeitarrestes (meist an Wochenenden), Kurz- oder Dauerarrestes vorgenommene ausschließliche Wegsperren der Jugendlichen eher zu einer Steigerung von Frustration und Aggression als zu Einsicht und Besserung des Verhaltens.
Im Gegensatz zum Erwachsenenstrafrecht können auch mehrere Erziehungsmaßregeln oder auch Erziehungsmaßregeln und Zuchtmittel miteinander kombiniert werden.
 
Werden weder Erziehungsmaßregeln noch Zuchtmittel als nicht ausreichend erachtet, kommt eine Jugendstrafe in Betracht. Diese einzige echte Kriminalstrafe setzt schädliche Neigungen oder eine besonders schwere Schuld bei dem Jugendlichen voraus. Der Nachweis der schädlichen Neigungen durch den Richter wird oft kritisch hinterfragt, da das Gesetz selbst keine Ausführungen dazu macht, was als sog. „schädliche Neigung“ anzusehen ist. In der Rechtsprechung wird vor allem die Annahme wiederholter und nicht unerheblicher Delinquenz angeführt.
Die Höchststrafe beträgt bei Jugendlichen fünf bzw. 10 Jahre (bei Straftaten, die nach allgemeinem Strafrecht im Höchstmaß mit Strafe von mehr als 10 Jahren bedroht sind), bei Heranwachsenden 10 Jahre.
 
Der Erziehungsgedanke findet seinen Niederschlag jedoch schon im Ermittlungsverfahren. Bereits eine professionelle Jugendsachbearbeitung bei der Polizei soll gewährleisten, dass nicht die Tat und damit die Schuld im Vordergrund der Betrachtung steht, sondern die Person des Jugendlichen. Die durch das 1. JGG-Änderungsgesetz aus dem Jahr 1990 eingeführte Möglichkeit der Diversion eröffnet eine sehr frühe und damit effektive erzieherische Beeinflussung von jugendlichen Tätern, welche das erste Mal bzw. mit einem Bagatelldelikt auffällig werden. Anstelle eines eher etikettierend wirkenden förmlichen Prozesses findet in enger Abstimmung zwischen Polizei und Staatsanwaltschaft die Auswahl eines erzieherischen Mittels, wie etwa die Schadenswiedergutmachung oder der Täter-Opfer-Ausgleich statt, deren Umsetzung noch in der Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft erfolgen kann. Damit wird dem sog. Beschleunigungsgrundsatz Rechnung getragen, der auf der Erkenntnis von der höheren Wirksamkeit einer Sanktion basiert, welche der Tat unmittelbar auf dem Fuße folgt, gerade wenn sich die Persönlichkeit sehr schnell verändert, wie dies bei Jugendlichen der Fall ist.
 
Quellenangaben/weiterführende Literatur:
 
- Albrecht, Peter-Alexis (2000). Jugendstrafrecht. C.H. Beck, München
- Eisenberg, Ulrich (2000). Kriminologie, Jugendstrafrecht, Strafvollzug. Franz Vahlen, München
- Eisenberg, Ulrich (2010). Jugendgerichtsgesetz. C.H. Beck, München
- Kunz, Karl-Ludwig (2008). Kriminologie. Haupt UTB, Weinheim
- Laubenthal, K.; Baier, H.; Nestler, N. (2010). Jugendstrafrecht. Springer, Wien
- Walter, Michael (2005). Jugendkriminalität: Eine systematische Darstellung. Boorberg, Stuttgart
 

Birgit Rauber
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