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Jugendstrafvollzug
 
Der Jugendstrafvollzug ist bislang gesetzlich nicht geregelt. Ein im April 2004 von der Bundesregierung vorgelegter Entwurf eines Jugendstrafvollzugsgesetzes konnte wegen der vorzeitigen Beendigung der Legislaturperiode im Herbst 2005 nicht umgesetzt werden. So wird lediglich in wenigen Vorschriften des Strafvollzugs- und Jugendgerichtsgesetzes auf den Jugendstrafvollzug Bezug genommen. Im Übrigen richtet sich der Vollzug einer Jugendstrafe bislang im Wesentlichen nach den "bundeseinheitlichen Verwaltungsvorschriften zum Jugendstrafvollzug (VVJuG)", die von den Bundesländern 1977 in Kraft gesetzt worden sind und sich weitgehend an den Regelungen des Strafvollzugsgesetzes orientieren. Mit seiner Entscheidung vom 31. Mai 2006 (2 BvR 1673 / 04, 2 BvR 2402 / 04) hat das Bundesverfassungsgericht nunmehr klargestellt, dass diese Regelungen keine ausreichende gesetzliche Grundlage für Eingriffe in die Grundrechte der Gefangenen darstellen (mit seiner Verfassungsbeschwerde wandte sich der Beschwerdeführer gegen die Kontrolle seiner Post durch die Jugendvollzugsanstalt). Das Gericht setzte dem Gesetzgeber zur Schaffung eines Jugendstrafvollzugsgesetzes eine Übergangsfrist bis zum 31. Dezember 2007. In seiner Entscheidung betont das Gericht die besondere Bedeutung der Entwicklungssituation der jungen Gefangenen und die Notwendigkeit, dass das Vollzugsziel darauf ausgerichtet sein muss, dem jungen Gefangenen ein künftiges straffreies Leben in Freiheit zu ermöglichen. In diesem Zusammenhang stellt das Gericht auch klar, dass dem Strafziel der Resozialisierung Verfassungsrang zukommt. Das Erfordernis, den Jugendstrafvollzug auf das Ziel der Resozialisierung auszurichten folgt laut Bundesverfassungsgericht auch aus der staatlichen Schutzpflicht für die Sicherheit der Bürger. "Zwischen dem Integrationsziel des Vollzugs und dem Anliegen, die Allgemeinheit vor weiteren Straftaten zu schützen, besteht insoweit kein Gegensatz." Inwieweit die Gesetzgeber den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts folgen werden bleibt allerdings fraglich. So lautet "§ 2: Kriminalpräventive Aufgabe" des vom Justizminister Baden - Württembergs vorgelegten Entwurfs eines Jugendstrafvollzugsgesetzes: "Der Jugendstrafvollzug dient dem Schutz der Allgemeinheit vor Straftaten junger Menschen".
 
Nur der geringste Teil der von der Polizei als tatverdächtig registrierten Jugendlichen und Heranwachsenden werden letztendlich inhaftiert. Wie sich aus nachstehender Tabelle 1 ergibt, nimmt die Zahl der Jugendstrafgefangenen, nachdem im Jahre 2001 ein Höchststand von knapp 7.500 Personen registriert wurde, wieder langsam ab.
 
Jugendstrafgefangene, jeweils zum 31.03. eines Jahres
(1980 und 1990 nur altes Bundesgebiet)
 

 

1980

1990

1995

1998

2000

2001

2002

2003

2004

2005

Insgesamt

6490

4197

4980

6438

7396

7482

7455

7276

7304

7061

Männer

6213

4087

4851

6247

7192

7250

7178

7010

7000

6797

Frauen

259

110

129

191

204

232

277

266

304

264


 
Tabelle 1
 
Unter diesen Gefangenen waren am 31. März 2005 lediglich fünf Personen im Alter von 14 bis 15 Jahren. Die Mehrheit der Insassen von Jugendvollzugsanstalten ist 18 Jahre oder älter. 28,2 % der Gefangenen verbüßen ihre Jugendstrafe wegen Diebstahls- und Unterschlagungsdelikten, 25,7 % wegen Raubdelikten. 18,7% der Inhaftierten sitzen wegen Delikten gegen die körperliche Unversehrtheit und 7,4 % wegen Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz ein.
 
Zum Stichtag 31. März 2005 besaßen knapp 18,4 % der Gefangenen in Jugendvollzugsanstalten nicht die deutsche Staatsbürgerschaft. Zu beachten bleibt dabei allerdings, dass vor allem viele Zuwanderer aus den Staaten der ehemaligen Sowjetunion zwar deutsche Staatsbürger sind, sich aufgrund ähnlicher Migrationserfahrung aber dennoch vergleichbaren Problemen ausgesetzt sehen wie nichtdeutsche Zuwanderer.
 
Im Vollzug selbst müssen sich die jungen Gefangenen mit einem System subkultureller Werte und Normen auseinandersetzen. So ist die Subkultur der Gefangenen geprägt von Misstrauen und Vorurteilen gegenüber den Vollzugsbediensteten und die Kommunikation mit den Beamten beinhaltet wenig persönliche Aspekte. Gefangene, die "zinken", also mit den Beamten kooperieren und Informationen weitergeben, sind dadurch bei ihren Mitgefangenen "unten durch". Eine Ausnahme unter dem Gefängnispersonal bilden die Seelsorger. Aufgrund ihrer Schweigepflicht vertrauen sich die Gefangenen diesen in stärkerem Maße an. Ferner existiert unter den Gefangenen ein illegales Handelssystem, über das sie sich mit knappen bzw. auch illegalen Bedarfsgegenständen versorgen können. In der Gefangenenhierarchie gewinnt der erfolgreiche Händler an Ansehen und Prestige: Er kann durch seinen Handel der Institution "Strafvollzug" die Grenzen der Kontrollmöglichkeiten aufzeigen. Da auch das Einschmuggeln von Drogen in eine Vollzugsanstalt nicht vollständig unterbunden werden kann, gehört der Konsum von Betäubungsmitteln, wie auch Alkohol, ebenso wie die entsprechenden Kontrollen durch die Bediensteten zum Alltag des Vollzugs. Die Beziehungen der Gefangenen untereinander sind stark zur Zugehörigkeit zu den jeweiligen Nationalitäten der Gefangenen geprägt. Nichtdeutsche Neuankömmlinge im Vollzug werden von ihren jeweiligen "Landsmännern" in Empfang genommen und in das Vollzugssystem eingeführt. Zumindest als "deutsch" klassifizierte neue Gefangene müssen ihren Mitgefangenen zunächst beweisen, dass sie Männlichkeitsidealen - etwa "korrekt" oder "cool drauf" sein - entsprechen, um Anschluss in ihrer Gruppe finden zu können.
 
"Durch den Vollzug der Jugendstrafe soll der Verurteilte dazu erzogen werden, künftig einen rechtschaffenen und verantwortungsbewussten Lebenswandel zu führen." (§ 91 Abs. 1 JGG). Dafür sind die Jugendvollzugsanstalten immer bemüht, ihren Gefangenen eine schulische bzw. berufliche Bildung anbieten zu können bzw. Arbeitsplätze zur Verfügung zu stellen. Darüber hinaus werden zusätzliche Angebote wie Anti-Gewalt-Training oder Gesprächsgruppen offeriert. Problematisch an dem grundsätzlich positiven Ansatz, den überwiegend unterdurchschnittlich gebildeten Gefangenen die Möglichkeit eines Schul- bzw. Berufsabschlusses zu vermitteln, ist, dass ein "Sogeffekt" nicht auszuschließen ist. Eine Jugendstrafe wird danach auch verhängt, um dem Gefangenen durch die Bildungsmöglichkeit "etwas Gutes zu tun", wenn "schädliche Neigungen" oder "die Schwere der Schuld" (§ 17 Abs. 2 JGG) eine Jugendstrafe nicht, oder zumindest lediglich eine Kürzere, gerechtfertigt hätten. Das Bundesverfassungsgericht jedenfalls ist der Ansicht, dass "solche Angebote auch dann sinnvoll genutzt werden können, wenn wegen der Kürze der Haftzeit ein Abschluss während der Dauer der Haft nicht erreichbar ist".
 
Aber auch mit erfolgreichem Schul- oder Berufsabschluss ist eine soziale Reintegration des jungen Gefangenen außerordentlich schwierig. Die Rückfallquote nach Verbüßung einer Jugendstrafe liegt bei 77,8%. Von diesen rückfällig werdenden Personen werden 57,9% zu einer erneuten Jugendstrafe ohne Bewährung verurteilt. Somit stellt sich die Frage, welche Faktoren den Ausstieg aus der Delinquenz begünstigen und somit einem Rückfall entgegenwirken können. Dabei zeichnet sich in der aktuellen Forschung ab, dass der Einbindung des Haftentlassenen in seinen Familienverband und die Lösung problematischer Familienkonstellationen, die Integration in eine Partnerschaft oder das Ende einer Drogenabhängigkeit Bedeutung zukommen. Da die genannten Faktoren aber eine ambivalente Wirkung auf kriminalisierbares Verhalten haben können, führt auch das Vorliegen dieser Begleitumstände nicht zwangsläufig zu einem Ende der kriminellen Aktivitäten.
 
Die bislang wenig berücksichtigte Vorschrift des § 93 Abs. 3 JGG ermöglicht den Vollzug einer Jugendstrafe in freien Formen. Auf dieser Basis existieren mit dem "Projekt Chance" in Creglingen und dem "Jugendhaus Seehof" in Leonberg zwei baden - württembergische Einrichtungen, in denen die Jugendstrafe in einer freien Form vollzogen wird. Die Gefangenen sind dort in einem ehemaligen Bauernhof untergebracht, der von ihnen umgebaut und restauriert wird. In den Projekten sind die Insassen in einen strengen Tagesablauf eingebunden, beginnend mit Frühsport, anstrengender körperlicher Arbeit, Schule, Täter - Opfer - Ausgleichs - Projekte und sozialen Trainingskursen. Die Projekte werden derzeit von den Kriminologischen Instituten der Universitäten Heidelberg und Tübingen evaluiert.
 
Litertaur:
 
- Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 31.05.2006 - 2 BvR 1673 / 04, 2 BvR 2402 / 04 - http://www.bverfg.de/entscheidungen/cs20050531_2bvc000105.html
- Statistisches Bundesamt Wiesbaden (Hrsg.), Bestand der Gefangenen und Verwahrten i.d. deutschen Justizvollzugsanstalten am 31. März 2006, Wiesbaden 2006
- Heinz, Wolfgang, Die neue Rückfallstatistik - Legalbewährung junger Straftäter, ZJJ 04, 35
- Meier, Andreas, Subkultur im Jugendstrafvollzug, Zeitschrift für Strafvollzug 02, S. 139 ff.
- Stelly, Wolfgang / Thomas, Jürgen, Die Reintegration junger Mehrfachtäter, ZJJ 06, S. 45 ff.
 

Felix Schulz
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