Kriminologische Gesellschaften (D, EU, weltweit) Die gesellschaftliche Organisation der Kriminologie in Deutschland
Die gesellschaftliche Organisation einer Wissenschaft ist bedeutungsvoll, um das Fach nach außen zu repräsentieren, sei es im Bereich der Forschungsförderung, der akademischen Aus- und Weiterbildung, oder im Fachaustausch auf nationaler und internationaler Ebene. Der größte Zusammenschluss im deutschsprachigen Raum im Bereich der Kriminologie ist die Kriminologische Gesellschaft (KrimG), eine wissenschaftliche Vereinigung deutscher, österreichischer und schweizerischer Kriminologinnen und Kriminologen. Ihre Ursprünge liegen etwa 80 Jahre zurück, ihr Werdegang spiegelt zugleich ein Stück Geschichte der Kriminologie in Deutschland und den deutschsprachigen Nachbarländern wider.
Als erste kriminologische Vereinigung wurde 1927 von Wissenschaftlern und Praktikern aus Deutschland, Österreich und der Schweiz die Kriminalbiologische Gesellschaft gegründet. Der ursprüngliche Name weist auf die zur Zeit der Gründung vorherrschende Sicht des Verbrechens hin. Ihr Satzungszweck von 1927 beinhaltete die Förderung der biologischen Betrachtung in Forschung und Strafrechtspraxis. Im Fokus standen Täterpersönlichkeit und psychiatrisch-psychologische Fragestellungen. Mitglieder der Gesellschaft waren daher auch überwiegend
Mediziner, Psychiater und Juristen.
Diese Satzung blieb bis zur Namensänderung in "Gesellschaft für die gesamte Kriminologie" im Jahre 1967 gültig. Erst mit der Umbenennung löste sich die Vereinigung von den Schatten der Vergangenheit. Eine breitere Ausrichtung fand ihren Niederschlag in der geänderten Satzung von 1968, die als Aufgabe die "erfahrungswissenschaftliche Erforschung aller Umstände, die mit dem Zustandekommen, der Begehung, der Aufklärung und der Bekämpfung des Verbrechens sowie der
Behandlung des Verbrechers zusammenhänge" vorsah. Dennoch blieb eine psychiatrische Ausrichtung vorherrschend. Soziologen und (Sozial-)Pädagogen waren nur wenig vertreten. Die Vereinigung führte etwa alle zwei Jahre Arbeitstagungen durch, deren Ergebnisse in der Schriftenreihe "Kriminologische Gegenwartsfragen" veröffentlicht wurden.
1959 gründeten Kriminologen, die sich in der eher psychiatrisch ausgerichteten Kriminalbiologischen Gesellschaft nicht vertreten sahen, die Deutsche Gesellschaft für Kriminologie. Soziologische und kriminalistische Ansätze sollten in dieser Vereinigung stärkere Berücksichtigung finden. Satzungsgemäß war Aufgabe des Vereins "die empirische, natur- und sozialwissenschaftliche Erforschung der Kriminalität und des kriminellen Menschen, der Verbrechensbegehung, der Verbrechensaufklärung und -bekämpfung sowie der sozialen
Verteidigung gegen das Verbrechen". Die Vereinigung führte jährlich drei eintägige Veranstaltungen durch, darunter Arbeitstagungen, deren Ergebnisse in der "Kriminologischen Schriftenreihe" veröffentlicht wurden. Aus ihrer Tradition stammt auch die Verleihung der Beccaria-Medaillen in Gold und Silber. Die Medaille wird in Erinnerung an den italienischen Juristen Cesare Beccaria (1738 - 1794), der als Begründer der Kriminologie gesehen wird, für besondere Verdienste um die Kriminologie verliehen.
1989 haben sich beide Gesellschaften zusammengeschlossen zur Neuen Kriminologischen Gesellschaft (NKG). Nach mehr als 15 Jahren Zusammenschluss erschien den Mitgliedern das im Titel mitgeführte Adjektiv "neu" überflüssig, sodass im Herbst 2007 die Umbenennung in Kriminologische Gesellschaft (KrimG) beschlossen wurde. Für den nichtdeutschen Sprachraum trägt die Vereinigung seitdem den Namen "Society of German, Austrian and Swiss Criminologists".
Die satzungsgemäß festgelegten Aufgaben sind mit der Umbenennung unverändert geblieben. Die Kriminologische Gesellschaft versteht sich als "Wissenschaftliche Vereinigung deutscher, österreichischer und schweizerischer Kriminologen" und sieht es als ihre zentrale Aufgabe, "die erfahrungswissenschaftliche Erforschung der Kriminalität, des Straftäters und Verbrechensopfers sowie der staatlichen und gesellschaftlichen Reaktionen zu fördern". Dies beinhaltet nach ihrem Selbstverständnis den Transfer der wissenschaftlichen Erkenntnisse in die Praxis, um damit auch einen Beitrag zur Kriminalprävention zu leisten. Die Förderung der Kriminologie als eigenständige wissenschaftliche Disziplin gehört zu ihren Kernaufgaben. Damit verbunden ist auch die Förderung der Kriminologie in der akademischen Ausbildung sowie von Forschung und Personen oder Institutionen, die sich um die kriminologische Forschung verdient gemacht haben. Hierfür verleiht sie als besondere Auszeichnungen die Beccaria-Medaillen in Gold und Silber. Diese Tradition stammt noch aus der Zeit der Deutschen Gesellschaft für Kriminologie, wurde mit dem Zusammenschluss der beiden Gesellschaften 1989 in die damalige Neue Kriminologische Gesellschaft übernommen und wird heute von der Kriminologischen Gesellschaft weitergeführt. Als höchste Auszeichnung gilt die Beccaria-Medaille in Gold, die alle zwei Jahre vergeben wird.
Sitz der KrimG ist Frankfurt am Main, die Geschäftsstelle ist am Institut für Kriminologie der Universität Tübingen angesiedelt. Die Gesellschaft führt alle zwei Jahre eine Fachtagung durch, die Veranstaltungen finden an wechselnden Orten in Deutschland, Österreich und der Schweiz statt und widmen sich jeweils aktuellen Fragen der Kriminologie aus interdisziplinärer Sicht. Die Ergebnisse der Tagungen werden in der "Neuen kriminologischen Schriftenreihe" veröffentlicht.
Als Gesellschaft, die ausdrücklich die Anwendungsbezüge der Kriminologie als nachrangig zu den Grundlagenwissenschaften sieht, versteht sich die Gesellschaft für interdisziplinäre wissenschaftliche Kriminologie (GiwK). Sie wurde 1989 von Mitgliedern des Beirates des Kriminologischen Journals am Rande einer Tagung des Arbeitskreises Junger Kriminologen (
AJK) gegründet. Satzungsgemäß widmet sich die Gesellschaft "der Entwicklung und Förderung der interdisziplinären wissenschaftlichen Forschung im Bereich der Kriminologie und einer Zusammenführung kriminologischer Forschungsinteressen aus den Bezugswissenschaften wie insbesondere der
Soziologie, namentlich Kriminal- und Rechtssoziologie, den Rechtswissenschaften, Geschichtswissenschaft und Politologie, Philosophie, Wirtschaftswissenschaften, Pädagogik und Sozialpädagogik, Psychologie, Sozialpsychologie,
Psychiatrie, Sexualwissenschaft". Der Sitz der GiwK ist in Hamburg. Mit dieser Vereinigung sollte eine breite Basis geschaffen werden, um kriminologische Forschungsinteressen aus den Bezugswissenschaften in einen interdisziplinären Diskurs einzubinden. Der Fokus des Interesses liegt dabei auf der wissenschaftlichen Analyse von Kriminalität und Verbrechenskontrolle, insbesondere auf der instanzenkritischen Forschung und Theoriebildung. Die GiwK widmet sich der Pflege und Förderung der Kriminologie als akademisches Lehr- und Prüfungsfach. Sie tritt für eine freie und unabhängige Forschung ein, wobei der Fokus auf dem Erhalt und der Stärkung der Institutionalisierung kriminologischer Forschung an den Universitäten liegt. Sie führt wissenschaftliche Tagungen durch, widmet sich der Pflege des internationalen Diskurses und Erfahrungsaustauschs und der Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses. Für letztere Aufgabe steht der Fritz Sack-Preis für Kriminologie: mit diesem Preis werden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ausgezeichnet, die sich im Rahmen ihrer wissenschaftlichen Arbeit besonders im Bereich der interdisziplinären wissenschaftlichen Kriminologie verdient gemacht haben. Der Preis wird alle zwei Jahre vergeben.
Die GiwK unterhält zurzeit zwei Sektionen: "Feministische Kriminologie" und "Theoretische Kriminologie". Diese führen regelmäßig eigene Arbeitstagungen durch.
Die gesellschaftliche Organisation der Kriminologie auf europäischer Ebene: European Society of Criminology (ESC)
Die European Society of Criminology (ESC) wurde im Jahre 2000 gegründet. Ihr Ziel ist es, auf europäischer Ebene Personen zusammenzubringen, die sich in Forschung, Lehre oder Praxis auf dem Gebiet der Kriminologie engagieren. Die ESC fördert kriminologische Forschung und Ausbildung in akademischen Institutionen sowie den fachwissenschaftlichen Austausch und die Kooperation. Sie versteht sich als Forum für die Verbreitung kriminologischer Erkenntnisse auf europäischer und internationaler Ebene. Hierzu gibt sie seit 2004 eine eigene wissenschaftliche Zeitschrift in englischer Sprache heraus, die für Mitglieder kostenlos zur Verfügung gestellt wird: das "European Journal of Criminology". Mit dieser Zeitschrift soll ein Forum für europäische, vergleichende und international orientierte kriminologische Forschung in englischer Sprache gegeben werden. Hintergrund ist ein zusammenwachsendes Europa, das einen intensiveren Austausch kriminologischer Erkenntnisse sowie eine vergleichende Forschung erforderlich macht.
Die European Society of Criminology führt jährlich Fachtagungen in wechselnden europäischen Ländern durch. Sie gibt dreimal pro Jahr einen Newsletter für ihre Mitglieder heraus. Neun Arbeitsgruppen geben Gelegenheit zur Mitarbeit an bestimmten Schwerpunkten wie z. B. zur
Jugendstrafrechtspflege, zur Quantitativen Kriminologie, zur Osteuropäischen Kriminologie, zur Forschung im Bereich der Tötungskriminalität u.a.m.
Seit 2007 vergibt die ESC zwei verschiedene Preise für besondere Leistungen in der Kriminologie, einen für Nachwuchswissenschaftler, den "ESC Young Criminologist Award", sowie einen weiteren Preis für Personen, die sich in ihrem Berufsleben besonders um die Kriminologie verdient gemacht haben, den "ESC European Criminology Award".
Die gesellschaftliche Organisation der Kriminologie auf internationaler Ebene:
Société Internationale de Criminologie (SIC)
Die
Société Internationale de Criminologie (SIC) (engl.: International Society for Criminology) mit Sitz in Paris entstand aus einem Zusammenschluss verschiedener Gesellschaften für Kriminologie, Kriminalbiologie, Kriminalprophylaxe und Kriminalanthropologie im Jahre 1934. Sie konstituierte sich 1938 auf ihrem ersten internationalen Weltkongress in Rom. Nach Unterbrechung durch den Zweiten Weltkrieg (1939 - 1945) fand sie 1949 zu ihrer heutigen Organisationsform mit Sekretariat in Paris. Sie verfügt über einen beratenden Status bei den Vereinten Nationen sowie beim Europarat, engagiert sich bei der UNESCO und ist in etwa 50 Ländern vertreten. Ihre offiziellen Sprachen sind französisch, englisch und spanisch. Für ihre Mitglieder gibt die SIC einen Newsletter heraus.
Zur Förderung der internationalen Beziehungen und dem Fachaustausch zu aktuellen kriminologischen Fragen organisiert die SIC alle fünf Jahre den "Congrès International de Criminologie" bzw. "International Congress on Criminology". Die Ergebnisse und Berichte der Kongresse werden in den "Annales Internationales de Criminologie" veröffentlicht, einer Mitgliederzeitschrift, die zugleich über die Aktivitäten der Gesellschaft sowie aktuelle Themen aus Kriminologie und Strafrechtspflege informiert. Außerdem werden unter ihrem Dach seit 1952 in jährlichem Turnus einwöchige internationale kriminologische Kurse und Seminare organisiert.
Die SIC fördert die wissenschaftliche kriminologische Forschung durch die Beteiligung an verschiedenen Forschungszentren wie dem 1969 gegründeten "International Center of Comparative Criminology" an der Universität von Montréal (Kanada), dem 1975 gegründeten "International Center for Clinical Criminology" an der Universität von Genua (Italien), an dem "International Center for Research on Delinquency, Marginality and Social Relationships" an der Universität in San Sebastian (Spanien) sowie durch die wissenschaftliche Betreuung der AQUINAS-Foundation (USA).
Literatur
Rössner, D. 2000: Die Neue Kriminologische Gesellschaft und ihre Beccaria-Medaille, in: Rössner, D./Jehle, J.-M. (Hrsg.): Beccaria als Wegbereiter der Kriminologie, Mönchengladbach, 1-8
Schöch, H. 1986: Gesellschaftliche Organisation der Kriminologie, in: Hirsch, H.-J. et al. (Hrsg.): Gedächtnisschrift für Hilde Kaufmann, Berlin/New York, 355-372
Smith, D. J. 2006: Supporting the development of criminology in Europe, in: European Journal of Criminology 3/1: 5-9
Internetquellen
European Society of Criminology
http://www.esc-eurocrim.org [Zugriff am 14.3.2008]
Gesellschaft für interdisziplinäre wissenschaftliche Kriminologie
http://www.giwk.de [Zugriff am 14.3.2008]
Kriminologische Gesellschaft
http://www.krimg.de [Zugriff am 14.3.2008]
Société Internationale de Criminologie
http://www.sic-isc.org/ [Zugriff am 14.3.2008]
Schlüsselwörter
Kriminologie (Gesellschaften) ; Kriminologische Gesellschaft ; Neue Kriminologische Gesellschaft ; Gesellschaft für interdisziplinäre wissenschaftliche Kriminologie ; European Society of Criminology ;
Société Internationale de Criminologie
Elisabeth Herrmann