Medizin Begriff der Medizin
Die Medizin ist die Lehre von der Vorbeugung, Erkennung und
Behandlung von
Krankheiten und Verletzungen bei Menschen und Tieren. Der Begriff Medizin entstammt dem lateinischen „ars medicina” und bedeutet übersetzt „Heilkunst“ oder „Heilkunde“. Medizin wird von Ärzten sowie von Angehörigen anderer Heilberufe, z. B. Heilpraktikern oder Heilern, ausgeübt mit dem Ziel, die Gesundheit des Patienten wiederherzustellen bzw. zu erhalten. Zum engeren Bereich der Medizin gehören die Humanmedizin, die Zahnmedizin sowie die Veterinärmedizin (Tierheilkunde). Umgangssprachlich werden auch Arzneimittel als „Medizin“ bezeichnet. Der vorliegende Artikel bezieht sich auf die Humanmedizin.
Gegenstand der Medizin
Gegenstand der modernen Medizin ist die Gesamtheit von Wissenschaftsgebieten, deren gemeinsame Aufgabe es ist, durch naturwissenschaftliche, klinische und epidemiologische Forschung Möglichkeiten und Methoden zu erarbeiten und Hilfsmittel zu entwickeln, um den Gesundheitszustand durch Diagnostik und Therapie, Prophylaxe (Vorbeugung) und Rehabilitation (Wiedereingliederung) sowie Nachsorge zu verbessern. Der Begriff der „
Krankheit“ greift hier zu kurz, denn die Medizin widmet sich auch den Bereichen Zeugung, Schwangerschaft, Geburt und Tod. Darüber hinaus wird der
Krankheitsbegriff kontrovers diskutiert, denn die Definition von
Krankheit ist abhängig von soziologischen und epidemiologischen Aspekten.
Medizin als Wissenschaft
In Ermangelung eines umfassenden wissenschaftlichen Theoriengebäudes ist die medizinische Wissenschaft als praxisorientierte Erfahrungswissenschaft zu charakterisieren. Sie umfasst den Menschen und die Faktoren seiner sozialen Umwelt in ihrer Wechselwirkung. Sie erstreckt sich von den molekularen Grundlagen über die unterschiedlichen Organisationsebenen des Organismus (Zelle, Gewebe, Organ, Organsystem) bis zu den psychischen Funktionen einschließlich des sozialen Beziehungsgefüges. Dabei stützt sie sich auf kybernetische und mathematische Grundlagen, auf verwandte Disziplinen wie
Biologie, Chemie und Physik und ist mit ihren naturwissenschaftlichen Bestandteilen in das System der Biowissenschaften einbezogen. Als Wissenschaft vom Menschen ist sie mit anderen Humanwissenschaften (z. B.
Anthropologie, Psychologie, Humanbiologie) eng verbunden und bedient sich deren Grundlagen.
Historische Entwicklung
Die moderne Medizin beruht auf den Grundlagen der Heilkunst, die in der griechischen und römischen Antike geschaffen wurde. Diese blühte im Altertum auf und stand bei den meisten Völkern in einer innigen Beziehung zu religiösen Kulten. Infolge dessen wurde sie früher vornehmlich von Priestern ausgeübt, so etwa bei den Ägyptern, Indern, den Griechen und Römern. Im Mittelalter waren in erster Linie die Mönche in den Klöstern für die Pflege der Wissenschaft zuständig. Die heute geläufige Differenzierung der Heilkunde in operative und nichtoperative Disziplinen war früher durch tiefe, unüberbrückbare Gräben der Zuständigkeiten charakterisiert. Während die an einer Universität ausgebildeten Mediziner hohes Ansehen erlangten, wurden die Chirurgen bis zu deren Akademisierung (seit 1852) dem Stand der Handwerker zugerechnet. Der Übergang von den Lehren der Antike und des Mittelalters zur naturwissenschaftlichen Medizin vollzog sich in der zweiten Hälfe des 19. Jahrhunderts.
Die Entwicklung der naturwissenschaftlichen Medizin
Die Forschung, Lehre und Praxis hat sich seit der Mitte des 19. Jahrhunderts radikal und rapide verändert. Die Einführung der Naturwissenschaften, die Erweiterung des pathologischen und physiologischen Wissens sowie der Fortschritt der Medizintechnik haben zu großen Entwicklungsschritten geführt. Die Anwendung neuer naturwissenschaftlicher und technischer Erkenntnisse hat nicht nur eine permanente Zunahme der (Be-)Handlungsmöglichkeiten und eine immer feinere Differenzierung der Medizin nach sich gezogen, sondern hat sich auch nachhaltig auf die epistemologischen (erkenntnistheoretischen) und anthropologischen Fundamente der Medizin, auf
Krankheits-, Heilungs- und Gesundheitsbegriffe sowie auf das Selbstverständnis von Ärzten, Patienten und Angehörigen anderer Gesundheitsberufe ausgewirkt. Infolgedessen schritt die Aufgliederung der Humanmedizin in eine große Anzahl von Fachgebieten mit einer modernen Vielfalt von wissenschaftlichen, alternativen und komplementären
Krankheitskonzepten und Therapieangeboten rasch fort. So sind derzeit neben der sogenannten Schulmedizin andere heilkundliche Systeme (z. B. Naturheilkunde, Homöopathie, anthroposophische Medizin) in der angewandten Medizin etabliert.
Das Verhältnis zwischen Kriminologie und naturwissenschaftlicher Medizin
Insbesondere seit den Publikationen des italienischen Psychiaters Cesare Lombroso („L´uomo delinquente“, 1876) finden sich in der Kriminologie wiederkehrend Thesen, die einen Zusammenhang zwischen physischen Abnormitäten und
Delinquenz herzustellen versuchen. Mit seiner Fixierung auf anatomische Körpermerkmale steht Lombroso in einer fragwürdigen kriminologischen Tradition, die Verdächtigungen und Verurteilungen aufgrund von biologischen Merkmalen begünstigt. Diese äußeren Merkmale sollen auf tief verwurzelte Anlagen zum Verbrecher hindeuten, und sie können auch durch Aneignung sozialer Verhaltensweisen nicht überdeckt werden. Der Kriminelle wird von Lombroso als besonderer Typus der Menschheit („der geborene Verbrecher“) beschrieben, der in der Mitte der Primitiven und Geisteskranken steht. Diese bio-wissenschaftlichen Erklärungsmuster erfuhren in Deutschland insbesondere während der Weimarer Republik und schließlich durch die von den Nationalsozialisten propagierte unsägliche rassistische Vernichtungspolitik ein vermehrtes Interesse.
Seither wurde eine Vielzahl an wissenschaftlichen Untersuchungen publiziert, deren Gegenstand neurobiologische Befunde bei kriminellen Verhaltensmustern sind. Dabei wurden neben genetischen Methoden häufig Untersuchungen mit neueren bildgebenden Verfahren durchgeführt. Derartige Untersuchungsmethoden sind eine Bereicherung der Wissensbasis über die neurobiologischen Grundlagen abweichenden Verhaltens, vorausgesetzt, ihre Anwendung und Interpretation ist hinreichend differenziert und kritisch. Die gegenwärtige empirische Befundlage besagt, dass deviantes oder delinquentes Verhalten stets als polyätiologisch verstanden werden muss, gründend auf biologischen, psychologischen, sozialen und situativen Einflussfaktoren. Eindimensionale Ansätze im Sinne eines biokriminologischen Reduktionismus verfehlen diesen Erkenntnisfortschritt. Den geborenen Verbrecher im Sinne von Lombroso gibt es nicht.
Schlüsselbegriffe:
Medizin, Wissenschaft, Neurobiologie, Kriminologie
Literatur:
- Böhm, B. 1998: Wissenschaft und Medizin. Über die Grundlagen der Wissenschaft. Wien.
- Hach, W., Hach-Wunderle, V. 2008: Blickpunkte in die Medizingeschichte des 19. Jahrhunderts. Stuttgart.
- Roche Lexikon Medizin: Sonderausgabe 2009. München.
Martin Peveling