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Mobbing
 
Der Begriff "Mobbing" ist relativ neu, wobei das Problem an sich ein sehr altes Phänomen darstellt. Mobbing stammt vom lateinischen Wort "mobile vulgus" ab und bedeutet somit ursprünglich "aufwiegelnde Volksmenge". In der heutigen üblichen Verwendung wird "Mobbing" aus dem englischen Wort "to mob" hergeleitet, was mit "anpöbeln, schikanieren" übersetzt werden kann. Es wird von Mobbing gesprochen, wenn der Betroffene von einer oder mehreren Personen regelmäßig - mindestens einmal pro Woche und mindestens ein halbes Jahr lang - belästigt, erniedrigt und systematisch ausgegrenzt wird.
Soziologisch betrachtet wurde der Begriff zunächst nur in der Arbeitswelt angewandt - inzwischen wird "Mobbing" allerdings auch für entsprechende negative kommunikative Handlungen in anderen Organisationen wie beispielsweise in der Schule oder in Freizeit-Institutionen verwendet.
Innerhalb der Mobbingforschung gibt es bislang wenige Arbeiten, wobei sich viele Disziplinen wie die Psychologie, Sozialpsychologie, Soziologie und Psychiatrie damit beschäftigen.

Mobbing ist keine kurze Episode, sondern meist ein lang anhaltender dynamischer Prozess. Am Anfang der Dynamik eines Mobbing-Prozesses z.B. am Arbeitsplatz steht nach Leymann eine unkonstruktive Konfliktlösung. Konfliktparteien geraten zunächst harmlos aneinander und Unstimmigkeiten entstehen. Werden diese Konflikte nicht ausgetragen, entwickelt sich nach und nach ein schlechtes Arbeitsklima, Mitarbeiter werden gereizter. Durch den nicht bewältigten Konflikt werden bestimmte Personen zum Sündenbock. Verbale Feindseligkeiten, Sticheleien und Gehässigkeiten gegenüber der Person führen dazu, dass diese in die Opferrolle gedrängt wird.
Auch die Täterrolle kristallisiert sich in dieser Phase deutlich heraus. Die gemobbte Person wird verletzlicher, macht zunehmend Fehler und die Widerstandskraft nimmt immer mehr ab. Gerüchte breiten sich unter den Mitarbeitern aus, Arbeitsabläufe werden gestört, es folgen Rechts- und Machtübergriffe und der ursprüngliche Konflikt gerät in den Hintergrund. Die betroffene Person wird nicht mehr akzeptiert und respektiert, was zur Folge hat, dass eigene Bewältigungsmöglichkeiten sinken und somit die Opferrolle noch mehr zum Vorschein kommt.
Die Täter rechtfertigen ihre Machtübergriffe mit dem schlechten Befinden und Gesamtzustand der betroffenen Person. Die soziale Isolation und die Zurückweisung können zu schweren Erkrankungen und psychosomatischen Beschwerden (von Schlafstörungen, Kopfschmerzen, Magenproblemen, Konzentrations- und Gedächtnisstörungen, Selbstzweifel, depressiven Verstimmungen bis hin zu Angststörungen, Suchtverhalten und chronischen Beschwerden) führen. Durch ärztliche und psychologische Fehldiagnosen ihrer Mobbingfolgen werden die betroffenen Personen noch hilfloser.
Schlichtungsversuche auf Personalebene kommen in diesem fortgeschrittenen Stadium des Mobbing-Prozesses meist zu spät, da sich die Täter-Opfer-Konstellation bereits zu sehr verfestigt hat. Danach wird häufig versucht, das Opfer durch Androhung der Kündigung, Beurlaub und Versetzung loszuwerden. Am Ende des Prozesses steht oftmals der endgültige Ausschluss aus der Arbeitswelt in Form von langfristiger Krankmeldung, Frührente oder Kündigung.
Verschiedene Varianten von Mobbing sind am Arbeitsplatz zu beobachten: einzelnen Kollegen gegeneinander, eine Gruppe von Kollegen gegeneinander, eine Gruppe von Kollegen gegen einzelne Kollegen, aber auch auf der hierarchischen Ebene - Mobbing von Vorgesetzten gegen Untergebene (Bossing). Jeder vierte Erwerbstätige wird während seines Arbeitslebens Opfer von Mobbing.
Schützende Faktoren gegen Mobbing in der Arbeitswelt können eine gute psychische und physische Kondition, Selbstvertrauen, persönliche Bewältigungsstrategien, Fähigkeit, Probleme zu lösen, aber auch äußere Einflüsse wie soziale Unterstützung durch die Umwelt und stabile wirtschaftliche Verhältnisse sein. Um einen bereits bestehenden Mobbingprozess zu durchbrechen, muss frühzeitig eingegriffen werden bzw. schon präventiv gehandelt werden. Auch professionelle Hilfe beispielsweise durch Betriebspsychologen, -Sozialarbeiter, Supervision, Seelsorger, Selbsthilfegruppen, Beratungsstellen, Kontakt zum Betriebsrat und juristische Hilfe kann in Anspruch genommen werden.

In der Schule sind die unterschiedlichen Erscheinungsformen von Mobbing - hier wird auch der Begriff "Bullying" (engl. für "tyrannisieren") verwendet - besonders ausgeprägt: verbale (auslachen, hänseln usw.) und nonverbale (Zunge herausstrecken, anspucken), aber auch physische Formen wie treten, boxen und erpressen sind festzustellen. Hinzu kommen indirekte Formen des Mobbings wie Freunde ausspannen, Gerüchte verbreiten, links liegen lassen oder der Ausschluss aus der Gemeinschaft. Durch die Verbreitung der neuen Medien werden Kinder und Jugendliche in der Schule zunehmend durch negative Äußerungen im Chat, per SMS, per Mail oder durch veröffentlichte Videos im Internet gemobbt.
Viele Untersuchungen zeigen, dass am häufigsten verbale Angriffe vorkommen. Physische Formen von Mobbing sind seltener.
Des Weiteren wird in der Schule nicht nur von Schüler ausgehend gemobbt, sondern auch Lehrer können beispielsweise durch Bloßstellen von Schülern, abfälligen Bemerkungen, Spitznamen geben, ständige Kritik und durch fehlendes Lob Schüler schikanieren.
Sowohl Schülerinnen als auch Schüler können von Mobbing gleichermaßen betroffen sein. Es sind keine geschlechterspezifischen Unterschiede bzw. bestimmte Merkmale an der Persönlichkeitsstruktur festzustellen. Allerdings können Schülerinnen und Schüler häufiger Opfer von Mobbing werden, wenn sie sich durch gewisse Eigenschaften und Äußerlichkeiten wie Kleidung, Verhalten oder auch der schulischen Leistung von den anderen Mitschülern abheben.
Die Täter von Mobbing an der Schule zeichnen sich durch ein geringes Maß an Empathie, dem Bewusstsein der eigenen Stärke, durch eine gute Wahrnehmung der Schwächen potentieller Opfer und ein hohes Geltungsbewusstsein aus. Mobbingtäter sehen ihr Verhalten als Konsequenz auf das provozierende Agieren der Opfer.
Die Ursachen von Mobbing gegen Schüler sind sehr facettenreich. Meist beruhen Mobbingsituationen auf zuvor ungelösten Konflikten, auf schlechten Beziehungen zwischen den Schülern oder auf konfliktreichen Lehrer-Schüler-Beziehungen. Auch ein negatives Schulklima und Etikettierung auffälliger Kinder und Jugendlicher, ein restriktives Erziehungsverhalten seitens der Schule und ein negatives Lernklima durch beispielsweise zu starken Leistungsdruck oder wenig schülerorientiertes Lernen können Mobbing begünstigen. Die zuvor erwähnte Andersartigkeit mancher Schüler, die familiäre Situation und soziale Situation tragen zum Ursachen-Komplex von Mobbing bei.

Wie in der Arbeitswelt ist Mobbing auch in der Schule durch Episoden gekennzeichnet. Die Kinder erfahren zunächst eine Erniedrigung durch ihre Mitschüler. Diese "Plagestrategie" geschieht auf eine subtile Weise durch Auslachen in der Öffentlichkeit, Ausplaudern von persönlichen Dingen und verstärktes Hinweisen auf Schwächen. Durch die erniedrigende Episode erreicht das Opfer den untersten Platz in der Hierarchie und wird somit "wertlos" für die anderen Kinder und nach und nach folglich für sich selbst. Der gemobbte Schüler entwickelt Schamgefühle und erzählt meist nicht von seinen Erlebnissen. Zudem befürchtet er, dem Täter dadurch zu schaden und weitere Repressalien in Kauf nehmen zu müssen. Auch die Lehrkräfte hüllen sich oftmals in Schweigen oder bagatellisieren die Vorfälle. Mit der Zeit entsteht beim Opfer ein Gefühl der Hilflosigkeit, da die negativen Handlungen der anderen Schüler unvorhersehbar erfolgen und das Opfer nicht weiß, wie es sich wehren soll. Hinzu kommen eine fehlende Kontrolle über die Situation und das Gefühl der eigenen Inkompetenz. Der betroffene Schüler wird zunehmend sozial isoliert, unbeliebter und erhält keine Unterstützung mehr von Seiten der nicht direkt involvierten Mitschüler. Auch die früheren Freunde ziehen sich immer mehr zurück. Die Passivität der anderen Schüler, aber auch die fehlgeschlagenen Interventionen oder das Nicht-Eingreifen der Erwachsenen, lassen die Mitschüler des Opfers zu Zuschauern des Mobbingprozesses werden.
Mobbing in der Schule zieht sowohl für das Opfer als auch für den Täter negative Folgen für den weiteren Lebensweg mit sich. Da Mobbing in den meisten Fällen aus zwischenmenschlichen Differenzen entsteht, kann es den Ausgangspunkt für eine kriminelle Karriere bilden, insbesondere dann, wenn zwischenmenschliche Probleme nicht adäquat gelöst werden. In der Schule sind bei den Opfern meist psychosomatische Beschwerden - wie bereits im zweiten Abschnitt aufgelistet - festzustellen.
Interventionen und Maßnahmen gegen Mobbing in der Schule sind so vielfältig wie die Entstehungszusammenhänge und Folgen von Mobbing. An erster Stelle sollte die Persönlichkeitsstärkung des Opfers stehen und die Stärkung der sozialen und emotionalen Kompetenz von Kindern und Jugendlichen und deren Familien. Ein angemessenes Schul - und Lernklima, klare Regeln und deren transparente Durchsetzung sorgen für eine Handlungssicherheit sowohl für Schüler als auch für die Lehrkräfte. Es sollte den Opfern möglich gemacht werden, sich einer Vertrauensperson mitzuteilen. Warnsignale sollten von allen am Schulleben Beteiligten und von den Eltern erkannt werden. Soziale Trainingskurse, Klassenrat, Streitschlichtung, Anti-Aggressionskurse können präventiv wirken, aber auch akut eingesetzt werden. Für das Opfer kann ein Mobbingtagebuch hilfreich sein. Das Thema Mobbing sollte sich nicht nur auf das Opfer oder den Täter fokussieren, sondern zum Thema für die Klasse und für die Schule werden. Durch gemeinsame Erarbeitung von Anti-Mobbing-Strategien kann mit Mobbinghandlungen sicherer und wirkungsvoller umgegangen werden.

Betrachtet man abschließend die rechtlichen Aspekte von Mobbing so wird deutlich, dass juristische Sanktionen problematisch erscheinen, da durch die oftmals mangelnde Beweisbarkeit von Mobbingvorfällen die Reichweite der vorhandenen Gesetze nicht zum Tragen kommt. Bei dem Begriff Mobbing handelt es sich nicht um einen eigenständigen juristischen Tatbestand, allerdings können zivil-, arbeitsschutz- und strafrechtliche Bestimmungen tangiert sein.

Verwendete Literatur:

Alsaker, F.D. 2004: Quälgeister und ihre Opfer. Mobbing unter Kindern - und wie man damit umgeht. Bern, Göttingen, Toronto, Seattle.
Gebauer, K. 2007: Mobbing in der Schule. Düsseldorf, Zürich.
Leymann, Heinz (Hrsg.) 1995: Der neue Mobbing-Bericht. Erfahrungen und Initiativen, Auswege und Hilfsangebote. Reinbek.

Schlüsselwörter:
Bullying, Bossing, Gewalt

Stefanie Köck
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