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Soziale Dienste der Justiz
 
Mit dem Sammelbegriff der Sozialen Dienste der Justiz bezeichnet man in jüngerer Zeit diejenigen Institutionen der Rechtspflege, insbesondere der so bezeichneten Strafrechtspflege, die im Rahmen der verschiedenen Verfahrensarten sozialarbeiterisch ausgerichtete bzw. sozialpädagogisch gestaltete Ermittlungs- und sonstige Hilfen leisten. Die gesetzlich ausgeprägteste Gestaltung hat die Jugendgerichtshilfe erfahren. Sie ist organisatorisch bei den Jugendämtern der Städte und Kreise angesiedelt und wird von diesen als Pflichtaufgaben zugunsten der Jugendstrafrechtspflege erfüllt. Daneben können auch Träger der Freien Wohlfahrt Aufgaben der Jugendgerichtshilfe übernehmen. Die "Vertreter der Jugendgerichtshilfe" (Jugendgerichtshelferinnen und -helfer) bringen nach § 38 Abs. 2 JGG in Verfahren vor den Jugendgerichten, d. h. auch schon bei den Jugendstaatsanwaltschaften, die erzieherischen, sozialen und fürsorgerischen Gesichtspunkte zur Geltung. Sie sollen zu diesem Zweck die beteiligten Behörden durch Erforschung der Persönlichkeit, der Entwicklung und der Umwelt des Beschuldigten unterstützen und sich zu den Maßnahmen äußern, die zu ergreifen sind. Sie können auch anstelle eines Bewährungshelfers darüber wachen, daß die jugendlichen Verurteilten Weisungen und Auflagen nachkommen. Während des Vollzugs der Jugendstrafe sollen sie mit dem Jugendlichen in Verbindung bleiben und sich seiner Wiedereingliederung in die Gemeinschaft annehmen.
Die Jugendgerichtshilfe hat neben ihren gesetzlichen Pflichten auch immerhin einige wohldefinierte Rechte, die sie im Prozeß zur Geltung bringen kann, wobei im Detail manches umstritten ist.

Historisch gesehen fast ebensolange gibt es die Gerichtshilfe, auch als allgemeine Gerichtshilfe bezeichnet. Sie war seit Anfang der 20er Jahre in einigen Landgerichtsbezirken experimentell mit Erfolg erprobt worden, wurde dann im 3. Reich beseitigt, konnte sich dann in der Nachkriegszeit langsam wieder etablieren und hat im Rahmen der Strafrechtsreform wenigstens vorläufige Anerkennung in der Strafprozeßordnung gefunden. Die Gerichtshilfe wird von ausgebildeten Sozialarbeitern im einzelnen durchgeführt. Organisatorisch gibt es unterschiedliche Lösungen in den Bundesländern, sie reichen von einer Zuordnung der Gerichtshelferinnen und Gerichtshelfer zur Staatsanwaltschaft bis zur Eingliederung in die Sozialbehörde. Nach der ursprünglichen Konzeption sollte die Gerichtshilfe zentrale Ermittlungshilfe in den ersten Stationen der Strafverfolgung sein. Paragraph 160 Abs. 3 StPO führt in diesem Zusammenhang aus, daß die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft sich auch auf die Umstände erstrecken sollen, die für die Bestimmung der Rechtsfolgen der Tat von Bedeutung sind und formuliert lapidar, ohne weitere Detailanweisungen: "Dazu kann sie sich der Gerichtshilfe bedienen." Die Praxis hat nur in wenigen Landgerichtsbezirken diese originäre Funktion ernsthaft und in größerem Umfang aufgegriffen. Viel häufiger nutzt man die Möglichkeiten der Gerichtshilfe bzw. die Fähigkeiten der Gerichtshelfer für das sogenannte Nachverfahren, d. h. beispielsweise im Rahmen von nachträglichen Entscheidungen über Strafaussetzung zur Bewährung oder Verwarnung mit Strafvorbehalt, der Vollstreckung von Freiheitsstrafen, des Aufschubs der Vollstreckung, der Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe (in jüngeren Jahren beispielsweise auch Projekte zur *Gemeinnützigen Arbeit), vor allem im Rahmen der Vorbereitung einer in Aussicht genommenen oder schon konkret geplanten bedingten Entlassung, also der Aussetzung des Strafrestes einer zeitigen oder lebenslangen Freiheitsstrafe zur Bewährung. Die rechtliche Grundlage dafür bietet § 463 d StPO. Ein zusätzliches recht häufiges Aufgabengebiet ist die Beibringung von soziobiografischen Erkenntnissen im Gnadenverfahren.
Seit 1953 bildet die Bewährungshilfe die größte selbständige Gruppe unter den Sozialen Diensten. Seit 1975 gibt es als weitere und vergleichsweise kleine Gruppe diejenigen Bewährungshelfer und sonstigen Sozialarbeiter, die den Führungsaufsichtsstellen zugeordnet sind, und die man gelegentlich ausdrücklich als Führungsaufsichtshelfer bezeichnet. Die letzte hier zu nennende Gruppe sind die Sozialarbeiter im Strafvollzug, die organisatorisch den einzelnen Jugendstrafanstalten, allgemeinen Vollzugsanstalten, Maßregelvollzugsanstalten oder aber auch Untersuchungshaftanstalten zugeordnet sind und seit dem Inkrafttreten des Strafvollzugsgesetzes am 1. Januar 1977 eine qualitativ bedeutsamere und quantitativ erheblichere Bedeutung als früher erhalten haben.

Gemeinsam ist den verschiedenen Sozialen Diensten der Justiz eine sozialpädagogische bzw. sozialarbeiterische Grundqualifikation, die heutzusage in der Regel durch ein Fachhochschuldiplom nachgewiesen wird. Die gesetzlichen Vorgaben und die einzelnen Bedingungen der Berufsfelder sind jedoch so unterschiedlich, daß es kaum möglich erscheint, ein einheitliches Berufsbild zu entwerfen und auch davon auszugehen, die Amtsträger könnten probemlos zwischen den Aufgabengebieten wechseln. Diese Frage ist seit wenigen Jahren zum Gegenstand erheblichen theoretischen und auch rechtspolitischen Streites geworden, angeregt von bestimmten Konzeptionen zur Schaffung eines einheitlichen "Sozialdienstes der Justiz", der alle Sozialarbeiter umfassen soll (*Sozialarbeit). Dieser Sozialdienst wäre nach einer der vertretenen Lösungsvorschläge eingebettet in eine übergreifende Neugestaltung des Sanktionenrechtes, vor allem der Praxis der Durchführung der mit Freiheitsentzug verbundenen Sanktionen, äußerlich gekennzeichnet durch ein so bezeichnetes Bundesresozialisierungsgesetz, das als äquivalent zum Strafvollzugsgesetz gelten könnte.

Literatur:
- Busch, M.: Der Rollenkonflikt des Sozialarbeiters in der Strafrechtspflege. Zeitschrift für Strafvollzug und Straffälligenhilfe 1983, 93-98.
- Engel, R. (Hrsg.): Jugendgerichtshilfe. München u.a. 1979.
- Maelicke, B.; Simmendinger, R. (Hrsg.): Entwicklungsarbeit in der Straffälligenhilfe. Frankfurt: ISS 1986.
- Mrozynski, P.: Sozialarbeit in der Justiz. Bewährungshilfe 1987, 172-187.
- Müller-Dietz, H.: Anspruch und Wirklichkeit sozialer Arbeit in der Strafrechtspflege heute. Archiv für Wissenschaft und Praxis der sozialen Arbeit 1987, 63-83.

Entnommen mit freundlicher Genehmigung des Kriminalistik-Verlages Heidelberg aus der gedruckten Version des Kriminologie-Lexikons, Stand der Bearbeitung: 1991

Hans-Jürgen Kerner
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