Selbstmord Der Begriff des Selbstmordes beschreibt die Handlung bzw. den Prozess der
Selbsttötung, d.h. die beabsichtigte Beendigung des eigenen Lebens. Dabei kann
das Ergebnis der eigene Tod oder die eigene Verletzung (Selbstmordversuch) sein,
welche durch aktive Handlungen (Erhängen, Erschießen, Vergiften etc) oder
passive Handlungen (Nahrungsverweigerung, Verweigerung ärztlicher Hilfe etc)
hervorgerufen und die von der Person absichtlich und zweckbestimmt eingesetzt
werden.
Unter den Begriff fallen somit keine selbstschädigenden Verhaltensweisen, die
eine Person unter Umständen ausführt, deren Ziel aber nicht eine eindeutige
Herbeiführung des eigenen Todes oder bestimmter Formen der Selbstzerstörung sind
(Rauchen,
Alkohol-, Drogenkonsum etc).
Der Begriff selber ist problematisch, da eine Verbindung zum strafrechtlichen
Terminus des Mordes (Tötungskriminalität) besteht. Der Mord beschreibt laut
§211 Strafgesetzbuch die Tötung eines anderen Menschen, daher und wegen
mangelnder Tatbestandsmäßigkeit bleibt die Selbsttötung in Deutschland und
vielen anderen Ländern heute straflos (eine rechtliche Sonderstellung bilden
Soldaten, die gemäß §109 Strafgesetzbuch und §17 Wehrstrafgesetz mit der
strafrechtlichen Verfolgung wegen Selbstverstümmelung bei einem Suizidversuch
rechnen müssen). Auch die fahrlässige Mitverursachung, vorsätzliche Teilnahme
oder Beihilfe zur Selbsttötung (z.B. durch die Bereitstellung entsprechender
Medikamente oder Mittel etc) bleibt in Deutschland straffrei (Ausnahmen z.B.
Anstiftung/Unterstützung eines Schuldunfähigen, unterlassene Hilfeleistung,
Rettungspflicht (gilt für Personen, die in einer besonders engen Beziehung zu
dem Selbstmörder stehen) etc). Sinnvoller erscheinen die Begriffe Suizid (vom
lateinischen suicidium bzw. sua manu caedere "mit eigener Hand fällen") oder
Selbsttötung bzw. Selbsttötungsversuch. Warum sich der Verweis des Selbstmordes
auf die individuelle Schuld des "Täters" bis heute vehement gehalten hat, mag
von moraltheologischen Diskursen bis ins 20. Jahrhundert herrühren. Das
Hinwegsetzen über das Recht Gottes am Leben des Menschen sowie das Fliehen vor
den Verpflichtungen des einzelnen gegenüber der Gemeinschaft, die dem göttlichen
Recht verpflichtet sei, waren Gründe der Bestrafung des Selbstmörders
(unehrenhafte Begräbnisse, Schändung der toten Körper etc) sowie dessen
Hinterbliebener.
In der Diskussion dem Suizid nahe stehende Thematiken sind der erweiterte Suizid
(darunter auch der Amoklauf oder Selbstopferungstaten) und die Sterbehilfe. Der
erweiterte Suizid beschreibt die Tötung anderer Menschen vor der Selbsttötung
und ist damit strafrechtlich relevant. Er findet sich unter anderem bei
familiären Verzweiflungstaten oder im politischen Kontext (so genannte
terroristische Selbstmordattentate,
Terrorismus) wieder. Die umstrittene Frage
innerhalb der Debatte um die Sterbehilfe ist es, ob auf Wunsch eines (kranken)
Menschen ein anderer dessen Leben aktiv (z.B. durch die Verabreichung eines
entsprechenden Medikamentes), passiv (z.B. durch die Unterlassung
lebensverlängernder Maßnahmen) oder indirekt (z.B. durch den Einsatz von
Medikamenten zur Linderung von Beschwerden, die als Nebenwirkung den Tod
herbeiführen) beenden darf. Überschattet wird dieser Diskurs von den Taten der
"Zwangseuthanasie" während des Nationalsozialismus.
Suizid ist weltweit verbreitet, jedoch variieren die Suizidraten (Suizid pro
100.000 der Bevölkerung) in den verschiedenen Ländern sowie nach Geschlecht.
Tabelle 1: Suizidraten in
ausgewählten Ländern nach Geschlecht
Land
|
Jahr
|
männlich
|
weiblich
|
Litauen
|
2002
|
80,7
|
13,1
|
Ungarn
|
2002
|
45,5
|
12,2
|
Österreich
|
2002
|
30,5
|
8,7
|
Schweiz
|
2000
|
27,8
|
10,8
|
Frankreich
|
1999
|
26,1
|
9,4
|
Deutschland
|
2001
|
20,4
|
7,0
|
USA
|
2000
|
17,1
|
4,0
|
China
|
1999
|
13,0
|
14,8
|
Aserbaidschan
|
2002
|
1,8
|
0,5
|
Quelle: WHO
Suicide rates by Country 2004
Die Suizidstatistiken unterliegen derselben Problematik wie die
Kriminalstatistiken (Kriminalitätsmessung), wobei das Dunkelfeld
(
Dunkelfeldforschung) bei Suizid vor allem durch die Frage der Erkennbarkeit
(z.B. bei Unfällen) oder durch die Definition der Todesursache (z.B. natürlicher
Tod) erzeugt wird. Bei Suizidversuchen wird eine verlässliche Schätzung noch
schwieriger. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) geht von einer weltweiten
Versuchsrate aus, welche zehn bis 20 mal so hoch ist wie die Suizidrate. Bei
10.733 Suizidtoten in Deutschland in 2004 würden die Versuche zwischen 107.330
und 214.660 liegen, d.h. jeden Tag starben in Deutschland etwa 30 Menschen durch
Suizid und zwischen 300 und 600 Menschen versuchten sich das Leben zu nehmen.
Weltweit wird die Zahl der Suizidopfer mit 815.000 in 2000 oder 2.191 pro Tag
beziffert.
Tabelle 2: Ausgewählte
Todesursachen in Deutschland 2004 – pro 100.000 Einwohner
Unfälle
(außer Straßenverkehr)
|
Suizid
|
Straßenverkehrsunfälle
|
Tötungsdelikte
(Mord und Totschlag)
|
16,4
|
13,0
|
7,2
|
3,0
|
Quelle: Statistisches
Jahrbuch der Bundesrepublik Deutschland;
Polizeiliche Kriminalstatistik.
Aus der nationalen Tabelle ergibt sich, dass mehr Menschen durch Suizid sterben
als durch Straßenverkehrsunfälle und Tötungsdelikte zusammen. Dennoch wird dem
Suizid weniger Aufmerksamkeit gewidmet. Dies liegt unter anderem an dem
wissenschaftlich erforschten Werther-Effekt: Übersteigerte
Medienberichterstattung über Arten, Ursachen, Methoden und
Opfer von Suiziden
kann zu dessen erhöhten Aufkommen führen. In einigen Ländern (z.B. Frankreich)
gibt es daher dementsprechende Pressegesetze.
Über Ursachen von Suizid existieren, je nach professionellem Hintergrund der
Forscher, die unterschiedlichsten Theorien, von denen jedoch keine als gesichert
angesehen werden kann. Es lassen sich dennoch für die Praxis gewisse
Anhaltspunkte für eine Suizidbereitschaft aufzeigen. So wird davon ausgegangen,
dass in über 90% aller Suizidfälle in der westlichen Welt eine diagnostizierbare
psychische Erkrankung (Depression, Psychose etc) vorgelegen hat. Wirtschaftliche
Schwierigkeiten, Störungen in persönlichen oder sozialen Beziehungen, chronische
Schmerzen und Suchterkrankungen spielen ebenfalls eine wenngleich untergeordnete
Rolle. Nicht vergessen werden sollte Emile Durckheims Klassiker der
Soziologie
"le suicide" von 1897, in welchem der Autor die statistischen Suizidraten in
einen sozialen Zusammenhang stellte und anomische Zustände innerhalb der
Gesellschaft für das Steigen der Suizide verantwortlich machte.
In der Suizidprävention müssen Signale ernst genommen und thematisiert werden.
Viele
Opfer begehen Suizidversuche die größtenteils als Hilfeappelle zu
verstehen sind. Erfolgt hierbei keine individuelle Hilfe, ist eine sehr hohe
Wiederholungsgefahr wahrscheinlich. Die vielfach verbreitete These, wer von
Suizid rede, würde sich nicht umbringen, ist eindeutig widerlegbar. Viele
Gefährdete haben vorher explizit zu erkennen gegeben, was sie beabsichtigen,
teils sogar den eindeutigen Vorsatz mitgeteilt, sodass auch Andeutungen sehr
ernst zu nehmen sind. Die Telefonseelsorge seit den 1950er Jahren stellt einen
der ersten Ansätze zur Suizidprävention dar (http://www.telefonseelsorge.de).
Seither arbeitet z.B. die Deutsche Gesellschaft für Suizidprävention (http://www.suizidprophylaxe.de)
an erfolgreichen Konzepten, die auf der Zusammenarbeit mit Experten und
Organisation im ganzen Bundesgebiet beruhen. Auch die WHO erforscht Ursachen und
Möglichkeiten der Prävention und führte im Jahre 2003 den
Welt-Suizid-Präventionstag (10. September) ein, um der Thematik weltweit eine
prominente Diskussionsplattform zu geben (http://www.who.int/mediacentre/events/2005/suicide/en).
Das Internet bietet zahlreiche Plattformen, die von professionell ausgebildeten
Personen betreut werden und über Foren, Chatrooms, Email Kontakte etc
Lebenshilfe anbieten (z.B. http://www.sorgenchat.de).
Literatur:
- Holyst, B.: Selbstmord - Selbsttötung. München 1986.
- Lindner-Braun, C.:
Soziologie des Selbstmords. Opladen 1990.
- Scheib, K.: Kriminologie des Suizids. In: Egg, R. (Hrsg.): Tötungsdelikte -
mediale Wahrnehmung, kriminologische Erkenntnisse, juristische Aufarbeitung.
Kriminologie und Praxis Band 36. Wiesbaden 2002. S.193-202.
Thomas Feltes