Kriminelle Karriere (www.krimlex.de)
 
Als kriminelle Karrieren werden im Allgemeinen Entwicklungsverläufe bezeichnet, die von vereinzelten Grenzüberschreitungen bis zu dauerhaft abweichendem Verhalten reichen. Der Begriff erscheint zunächst widersprüchlich, da die Kriminalität als Konstrukt (welches zeitlich und räumlich ungleich definiert und sanktioniert wird) und das eher positiv besetzte Wort Karriere (im beruflichen Sinne als Aufstieg und Erfolg bewertet) miteinander in Verbindung gesetzt werden.
Kriminelle Karrieren werden für gewöhnlich rückblickend (retrospektiv), in Bezug auf ihren Anfang, ihren Verlauf und ihren Abbruch erforscht. Prognosen (prospektiv) sind überaus schwierig und aufwendig. Erklärend lassen sich verschiedene Theorien zu Ursachen und Verursachung von Kriminalität anführen.
Etikettierungstheorien (z.B. nach Quensel und Sack) vertreten den Standpunkt, Kri-minalität wird aus einem Machtgefälle heraus definiert. Abweichendes Verhalten wird mit dem Etikett „kriminell“ belegt, weil es gegen geltende soziale Regeln verstößt, die (zeitlich vorausgehend) von einer (herrschenden) gesellschaftlichen Gruppe aufgestellt wurden. Kriminalität ist demzufolge ein Produkt der Zuschreibung, nicht jedoch individueller Anlagen im Menschen selbst (Anlage-Umwelt-Streit). Mechanismen der „sich selbst erfüllenden Prophezeiung“ („self-fulfilling-prophecy“) können dann abweichendes Verhalten, sowie eine kriminelle Karriere begünstigen, wenn das Fremdbild (durch Etikettierung bzw. Stigmatisierung) als Selbstbild übernommen wird.
Die „Theorie des rationalen Wahlhandelns“ („rational choice“) von Becker und Cornish/ Clarke, geht davon aus, dass sich der logisch denkende Mensch aufgrund einer „Kosten-Nutzen-Analyse“ für oder gegen die Begehung einer Straftat entscheidet. Ebenso wie bei legalen, wirtschaftlichen Handlungen, wird er die Straftat nur begehen, wenn die Vorteile die Nachteile überwiegen. Bei Eintritt eines Erfolges und wenn kaum andere Lösungsmöglichkeiten zur Zielerreichung greifbar sind, wird die Wahrscheinlichkeit erhöht, kriminelles Verhalten wiederholt einzusetzen. Sutherlands „Theorie der differentiellen Kontakte“ (Lerntheorie) folgt der Annahme, dass kriminelles Verhalten erlerntes Verhalten ist. Demzufolge lernt und verinnerlicht der Einzelne erst infolge einer Interaktion (Kommunikation und Beobachtung) mit anderen Menschen wesentliche kriminelle Techniken und Motivlagen, um Verbrechen auszuführen. Sutherland unterscheidet diese Kontakte in ihrer Anzahl, Dauer, Intensität und Priorität. Schließlich ist nicht jedem Menschen eine kriminelle Karriere möglich, wenn die entscheidenden Kontakte fehlen. Cloward betont außerdem, dass eine professionelle Ausbildung sowohl in normtreuen Berufswahlverfahren, als auch im illegalen Bereich für Ansehen und Aufstieg notwendig ist. Einflusskriterien zu erfolgreichen kriminellen Rollen sind z.B. Ethnizität, Beziehungen, Alter und Geschlecht.
Wie die dargestellten Kriminalitätstheorien beispielhaft zeigen, ist der Beginn und der Verlauf einer kriminellen Karriere (sowohl retrospektiv als auch prospektiv) nicht eindeutig und anhand einzelner Kriterien nachweisbar. Vielmehr ist ein Mehrfaktorenansatz zur Erklärung individuell, abweichenden Verhaltens erforderlich. Dieser geht weit über sozialisations- und lerntheorietische Ansätze hinaus. Ein möglicher Abbruch innerhalb der kriminellen Karriere ist ebenfalls verschiedensten Einflüssen unterlegen. Wendepunkte in Richtung Kriminalität oder aus ihr heraus sind jederzeit möglich (z.B. durch Partnerschaften oder Arbeit). Insgesamt betrachtet, lassen sich keinerlei gesicherte und allgemeingültige Kriterien abbilden, welche eine kriminelle Karriere vorausschauend erkennen lassen.
 
Schlüsselwörter: Prognosen, Kriminalitätstheorien, Etikettierungstheorie, rationales Wahlhandeln, differentielle Kontakte, Wendepunkte
 
Literatur:
- BREUER, T.: Kriminologie als kriminologische Handlungslehre. Ein Grundriss für die Aus- und Fortbildung. Langwaden 1998. S. 52-93.
- CLOWARD, R. A./ SUTHERLAND, E. H. In: SACK, F./ KÖNIG, R.: Kriminalsoziologie. Frankfurt/Main 1974. S. 314-338/ S. 395-400.
- SCHMITT, B.: Kriminologie, Jugendstrafrecht, Strafvollzug. Münster 2008. S. 18-41.
 

Anika Dorow