Prävention (www.krimlex.de)
 
Der Begriff „Prävention“ in seiner allgemeinen Form leitet sich von dem lateinischen Verb „praevenire“ ab. Dies bedeutet „vorbeugen“ oder „einem Ereignis zuvorkommen“. Übertragen auf den Bereich der Kriminologie bezeichnet jener Begriff in Form der Kriminalprävention die Gesamtheit der vorbeugenden Maßnahmen, um die Begehung zukünftiger Straftaten zu verhindern. Im Laufe der Zeit hat der Oberbegriff der Kriminalprävention jedoch vielfältige Ausprägungen und Differenzierungen erfahren. Diese Entwicklung und die damit verbundene Problematik soll Gegenstand folgender Erörterung sein.

Zunächst lassen sich zwei grundlegende Begriffe der Kriminalprävention voneinander unterscheiden. Auf der einen Seite steht hierbei der herkömmliche Präventionsbegriff, auf der anderen der so genannte neue oder erweiterte Begriff. An der Wortwahl „erweitert“ zeigt sich bereits, dass letzterer den Erstgenannten nicht zwingend ausschließt.

Geklärt werden sollen hierbei zuvorderst die Bezugspunkte beider Begrifflichkeiten und eventuelle weitere Untergliederungen. Der herkömmliche Begriff der Kriminalprävention bezieht sich auf das Strafrecht und die Strafrechtspflege an sich. Der neue oder erweiterte kriminalpräventive Begriff bezieht sich hingegen auf die Gesellschaft in ihrer Gesamtheit. Ersterer untergliedert sich weiterhin in die Punkte der positiven und negativen General- sowie Spezialprävention, welche durch eine gesetzliche Strafandrohung und Sanktionierung erreicht werden sollen. Der erweiterte Präventionsbegriff hingegen besitzt keine weiteren Untergliederungen, sondern definiert sich allgemein über die Verhütung von Kriminalität als gesamtgesellschaftliche Aufgabe, was durch noch zu spezifizierende „sonstige Maßnahmen“ erreicht werden soll.

Beide Präventionsbegriffe lassen sich in die von Kaiser begründeten Stufen der Prävention unterteilen und einordnen. Diese gliedern sich nach den verschiedenen Stadien des Ablaufs einer strafbaren Handlung und den damit verbundenen Adressaten in eine primäre, sekundäre und tertiäre Prävention. Bezüglich obiger Begrifflichkeiten der herkömmlichen und neuen kriminalpräventiven Erwägungen lassen sich auf jeder der drei Stufen Maßnahmen des Strafrechts hinsichtlich des herkömmlichen und sonstige Maßnahmen in Bezug auf den neuen Begriff unterscheiden. Adressat der primären Prävention ist grundsätzlich die Allgemeinheit. Die Maßnahmen des Strafrechts stellen dabei die positive Generalprävention dar. Diese versucht durch die Sanktionierung einer Tat das Rechtsbewusstsein und die Rechtstreue der Bevölkerung zu festigen. Als sonstige Maßnahmen können diesbezüglich vielfältige Vorbeugungsstrategien zum Einsatz kommen. In Betracht zu ziehen sind zum Beispiel Freizeitangebote für Schüler in Form von Selbstverteidigungskursen für Mädchen oder Sportangebote, aber auch architektonische und städtebauliche Maßnahmen, sowie schulpsychologische Beratung im Unterricht um eine gewaltfreie Konfliktlösung zu lehren.

Die sekundäre Prävention richtet sich dagegen einschränkend an bestimmte Risikogruppen. Das Strafrecht greift hier zum Mittel der negativen Generalprävention. Potentielle Täter sollen durch die Furcht vor einer Strafe von der Begehung einer Straftat abgehalten werden. Die sonstigen Maßnahmen versuchen dies sowohl über eine Erschwerung der Tatbegehung, zum Beispiel durch die Einführung von Fahrradpässen oder Wegfahrsperren in Kraftfahrzeugen, als auch durch eine Minimierung von Tatgelegenheiten, zum Beispiel durch verstärkte Fußbestreifung besonders gefährdeter Gebiete, zu erreichen.

Adressat der tertiären Prävention schließlich ist der noch weiter eingeschränkte Personenkreis der bereits straffällig Gewordenen. Das Strafrecht versucht auf diesen Kreis mit Mitteln der Spezialprävention einzuwirken, um eine Rückfallwahrscheinlichkeit seitens des Täters zu minimieren oder gänzlich auszuschließen. Jenes kann zum einen im Rahmen der Besserung (positive Spezialprävention), im Rahmen der Abschreckung des Einzelnen oder der Sicherung des Täters (negative Spezialprävention) versucht werden. Bezüglich der sonstigen Maßnahmen stehen in diesem Fall verschiedenartige formelle und informelle Möglichkeiten zur Rückfallvermeidung zur Auswahl. Diese äußern sich beispielsweise in der Anwendung der Diversion, in gemeinnütziger Arbeit, dem Programm zum Täter-Opfer-Ausgleich oder in der Bewährungshilfe.

Stellt man nun beide kriminalpräventiven Begriffe gegenüber, lassen sich gewisse Überschneidungen der verschiedenen Maßnahmen feststellen. Insbesondere stellt eine präventive Maßnahme durch strafrechtliche Sanktionen lediglich einen Spezialfall des neuen kriminalpräventiven Begriffes dar. Dies kommt gerade in der Wendung „erweiterter Präventionsbegriff“ zum Ausdruck. Eine solche Überschneidung bzw. Umfassung ist jedoch unvermeidbar, da die maßnahmentechnisch weit gefassten sonstigen Maßnahmen notwendigerweise auch solche aus strafrechtlichen Erwägungen beinhalten können.

Auf Grund dieser Eingliederung und Umfassung des herkömmlichen Begriffes ist die Frage aufzuwerfen, ob für eine Ausdehnung und Ausweitung der präventiven Erwägungen überhaupt eine Notwendigkeit besteht. Hierzu muss man die Gründe für die Wandlung des Präventionsbegriffes näher betrachten. Dabei stechen zwei besonders markante Erklärungsversuche hervor.

Die erste Erwägung basiert auf dem Anstieg der registrierten Kriminalität, was mit einem gesteigerten Bedrohtheitsgefühl der Bevölkerung einhergeht. Entscheidend ist in diesem Zusammenhang nicht, ob tatsächlich eine größere Kriminalitätsbedrohung vorliegt, sondern lediglich, ob die breite Masse der Bevölkerung dies so empfindet und ihr Handeln danach ausrichtet. Im Zuge vorgenommener statistischer Erhebungen kann dieses gesteigerte Bedrohtheitsgefühl vermutet werden. Mitursächlich hierfür sind vermutlich die einseitige Berichterstattung in den Medien, die meist Schwerstkrimininalität zum Anlass für ausgedehnte Reportagen macht, als auch sensationseifernde Darstellungen über die Auswirkungen des organisierten Verbrechens.

Darüber hinaus ist das abnehmende Vertrauen weiter Teile der Bevölkerung gegenüber dem Erfolg staatlicher und strafrechtlicher Intervention nicht gering zu schätzen. Neuere viktimologische und kriminologische Erkenntnisse untermauern dies unter anderem mit dem Hinweis auf den starken zahlenmäßigen Anstieg von privaten Wach- und Sicherheitsunternehmen, als auch mit der überproportionalen Zunahme der Verkaufszahlen für sicherheitstechnische Vorkehrungen aller Art.

Insoweit lässt sich aus dem hier Angeführten grundsätzlich die Notwendigkeit eines neuen Präventionsbegriffes ableiten.

Gerade die erweiterten kriminalpräventiven Erwägungen gerieten in letzter Zeit jedoch verstärkt in den Fokus von Diskussionen. Ein Vorwurf geht dahin, dass im Rahmen der sonstigen Maßnahmen zu sehr auf Gelegenheitsstrukturen abgestellt werde und lediglich der Versuch unternommen würde, den „rational choice“ (die auf Vernunft basierende Wahlmöglichkeit) eines abstrakten Normadressaten zu beeinflussen. Eben dies erkläre nicht, warum häufig „gute“ Gelegenheiten zur Kriminalität nicht genutzt werden. Auch wird kritisiert, dass im Rahmen der sonstigen Maßnahmen nicht in ausreichendem Maß die Motive und Verhaltensweisen des Täters mit berücksichtigt würden, was zu einer übermäßig starken objektivierten Betrachtung der Tatbegehung führe.

Des Weiteren wird die derzeitige Umsetzung der sonstigen Maßnahmen auf kommunaler Ebene hinsichtlich der Adressateneigenschaften der handelnden Bürger kritisiert. Diesbezüglich ist zunächst zu klären, auf welche Art und Weise die sonstigen Maßnahmen unter anderem auf kommunaler Ebene umgesetzt werden. Jenes geschieht vor allem in Form von Präventionsräten, -gremien und -vereinen, was eine weitgehende Vernetzung einzelner Institutionen, wie zum Beispiel Polizei, Staatsanwaltschaft oder Jungendämter, erzeugen soll, um schnelle und unbürokratische Lösungen finden zu können. So begrüßenswert ein solches Vorgehen ist, darf jedoch nicht außer Acht gelassen werden, dass hier heterogene Aktivitäten hinsichtlich der Landes- und Bundesebene gefördert werden. Dies geschieht dadurch, dass sich die Maßnahmen meist auf spezifische Problemlagen des lokalen Umfelds beschränken. Es darf jedoch nicht unerwähnt bleiben, dass damit eine größere Bürgernähe entstehen könnte und zumindest auf kommunaler Ebene eine effektivere Kriminalprävention stattfinden könnte. Als Beispiele für Kriminalprävention auf kommunaler Ebene seien Stadtteil-Selbsthilfeprojekte zur Renovierung von Spielplätzen oder „Disco-Taxis“ zur Vorbeugung von Sexualdelikten genannt.

Gerade die vorgenannte Bürgernähe wird jedoch mit dem Argument angegriffen, dass der direkte Anspruch an den einzelnen Bürger auf kommunaler Ebene in Frage zu stellen sei, da die Gesellschaft an sich eine immer stärker werdende Individualisierung erfahre.

Ein weiterer Kritikpunkt an dem erweiterten Präventionsbegriff lässt sich unter dem Stichwort „Technoprävention“ zusammenfassen. Dieser Begriff umfasst alle Präventionsmaßnahmen, für die ein besonderer technischer Aufwand notwendig ist, bzw. die nur mit einer besonderen technischen Versiertheit ausgeführt werden können. Einige der beispielhaften Maßnahmen in diesem Zusammenhang wurden bereits im Rahmen der Präventionsstufen hinsichtlich der sonstigen Maßnahmen genannt. Hier seien noch vertiefend und ergänzend sowohl die bessere Beleuchtung von Wohnvierteln und Straßenzügen, die Installation von Haussicherungsanlagen, beispielsweise Kameras und Alarmanlagen, als auch die Abgrenzung ganzer Wohnviertel durch Mauern und Stacheldrahtzäune als eines der stärksten Mittel, genannt. Gerade Letzteres erfreut sich in kriminalitätsbelasteten Gegenden der USA, in weiten Teilen Südamerikas, aber auch in vielen anderen Gegenden der Welt, heutzutage großer Beliebtheit. Das Abkapseln ganzer Wohnviertel zieht jedoch vielfältige andere Probleme nach sich. Es findet hierdurch nicht unbedingt eine Verringerung der Kriminalität in ihrer Gesamtheit statt, wenngleich die Belastung in dem betreffenden Gebiet freilich sinkt. Im Umkehrschluss verlagert sich die Kriminalität aber von den besonders gesicherten auf die nicht derart gesicherten Gebiete. Die gleiche Problematik besteht bei der verstärkten Durchführung von Polizeistreifen in Großstädten oder anderen belasteten Gebieten. Ebenso kann hieraus eine Art „Wettrüsten“ der Bürger um die beste Sicherung eines Gebietes entstehen, welches gerade daraus resultiert, dass sich die Kriminalität stets auf die nicht besonders geschützten Areale verlagern wird.

Welche Schlüsse lassen sich nun aus obiger Darstellung ziehen? Eine irgendwie geartete Kriminalprävention ist als absolut notwendig allgemein anerkannt. Lediglich die Erscheinungsform einer solchen unterliegt der Diskussion. Ebenso wie die Straftheorien, welche auch als Strafzwecke bezeichnet werden, keiner eindeutigen Lösung zuzuführen sind, stehen die damit verbundenen Lösungsansätze bezüglich der verschiedenen möglichen Arten der Kriminalprävention vor keiner eindeutigen Lösung. Die obige Kritik des erweiterten Präventionsbegriffes sollte nicht über die grundsätzlich guten Ansätze einer neuen Herangehensweise an ein altes Thema hinwegtäuschen. Eine Ergänzung des herkömmlichen Präventionsbegriffes mit den sonstigen Maßnahmen der erweiterten kriminalpräventiven Erwägungen würde, ähnlich der Vereinigungstheorien der Strafzwecke, eine gute, jedoch keine absolute Lösung darstellen. Eine gewisse Unsicherheit bei der Anwendung der verschiedenen Arten der Kriminalprävention scheint somit systemimmanent zu sein.

Literatur

- Bock, Michael: Kriminologie. München 2007.
- Kaiser, Günther: Kriminologie. Heidelberg 1997.
- Kaiser, Günther / Schöch, Heinz: Kriminologie, Jugendstrafrecht, Strafvollzug. München 2006.
- Meier, Bernd-Dieter:, Kriminologie. München 2007.
- zur aktuellen Diskussion: Beitrag von Thomas Feltes „Kriminalprävention“ in: Hans-Jürgen Lange (Hrsg.): Kriminalpolitik, VS-Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2008, S. 251-268.


Thomas Mosmann