Sozialarbeit/Sozialpädagogik (www.krimlex.de)
 
Die unterschiedlichen Begriffe: Sozialarbeit bzw. Sozialpädagogik beruhen auf einer traditionellen und überholten Zweiteilung der Disziplin, die vor allem durch bis zur Einrichtung der Fachhochschulen für Sozialwesen (1971) strikt getrennte Ausbildungszweige geprägt wurde (*Pädagogik). Die Disziplin Sozialarbeit bezieht ihre professionelle und gesellschaftliche Legitimation aus dem System der sozialen Sicherung und der daraus resultierenden Sozialpolitik einer Gesellschaft. Sie ist Bestandteil der Untergruppe der "Sozialen Hilfen und Dienste" und ihr obliegt die Aufgabe der Beseitigung bzw. Verwaltung in-dividueller Notlagen und damit der Beeinflussung von Lebenslagen. Lebenslagen sind sozialpolitisch beeinflußbare Lebensverhältnisse (Einkommen, Bildung, Gesundheit, Wohnen) und Handlungsspielräume (Mitbestimmung, Freizeit), die den Menschen Lebensperspektiven und Interessenentfaltung ermöglichen. Diese sozialpolitischen Leistungen können als Sach- oder Dienstleistungen erfolgen. In diesem Sinn erfüllt Sozialarbeit die Aufgabe der sozialen Integration und der Verwaltung derjenigen sozialen Probleme, die unter den gegebenen gesellschaftlichen Bedingungen nicht lösbar sind. Soziale Probleme mit Hilfe von Sozialarbeit/Sozialpädagogik zu verwalten, bedeutet, die sich sozial abweichend oder auffällig verhaltenden Problemgruppen zunächst als solche zu definieren und einem besonderen Kontrollstatus zu unterwerfen.
Die Ressourcen von Sozialarbeit/Sozialpädagogik sind der ökonomischen Bindung (die vorhandenen finanziellen Mittel bestimmen Art und Ausmaß der Hilfe) der Sozialpolitik unterworfen. Die ökonomische Bindung bestimmt die Struktur der Leistungsverteilung sowie Umfang und Art des Personenkreises der Anspruchsberechtigten.

Erste Formen professionalisierter Sozialarbeit entstanden, als Form mitmenschlicher und gesellschaftlicher Hilfe konzipiert, in Deutschland um die Jahrhundertwende im Zusammenhang mit der Industrialisierung und den damit verbundenen veränderten und steigenden sozialen Mängellagen. Nach dem 2. Weltkrieg vollzog sich unter dem starken Einfluß amerikanischer Sozialarbeitstheorien eine Reform, die einerseits zu einer (Re-)Individualisierung der Theorien und Methoden der Sozialarbeit führte und andererseits eine Abkehr von der bisher überwiegend pädagogischen Orientierung zu einer psychologischen Ideologie bewirkte. Ende der 60er bzw. Anfang der 70er Jahre entzog sich die Sozialarbeit bis auf wenige Ansätze und deren Umsetzung (Kinderläden, ursprüngliche Gemeinwesenarbeit und Straßensozialarbeit, demokratische Jugendwohngemeinschaften und Selbsthilfegruppen) einer allgemein einsetzenden Politisierung, in dem sie sich verstärkt an Verwissen-schaftlichung und Professionalisierung orientierte und therapeutischen Konzepten zuwandte.
Anhand der divergierenden theoretischen Bezüge lassen sich drei Grundströmungen der Sozialarbeit klassifizieren:
(1) die konservativ-traditionelle Sozialarbeit,
(2) die liberal-reformistische Sozialarbeit und
(3) die progressiv-radikale Sozialarbeit.

Das Konzept der konservativ-traditionellen Sozialarbeit impliziert das Bild einer pluralistischen, nicht veränderungsbedürftigen Gesellschaftsordnung. Als Ansatzpunkte und Ziel sozialtherapeutischen Handelns wird das Individuum gewählt, mit dem Ziel der Anpassung an die gegebenen sozialen Verhältnisse. Die gesellschaftlichen Normen werden als richtig und der strikten Befolgung unterliegend gesehen. Abweichendes Verhalten wird in diesem Sozialarbeitsparadigma mittels ätiologischer Ansätze erklärt. Hauptarbeitsfeld sind Klient und Familie, wobei ein prinzipiell distanziertes Verhältnis zum Klienten vorherrscht. Die Zusammenarbeit mit der Polizei und anderen staatlichen Instanzen wird ausdrücklich bejaht (*Polizei und Sozialarbeit). Als Grundlagenwissenschaften des methodischen Handelns und der theoretischen Orientierung werden *Pädagogik, *Psychologie und Medizin gesehen. Die Ziele des sozialarbeiterischen Handelns werden mittels den Methoden: Einzelhilfe und Gruppenarbeit zu realisieren versucht.
Die liberal-reformistische Sozialarbeit geht ebenfalls von einer pluralistischen, jedoch veränderungsbedürftigen Gesellschaftsordnung aus, die sie in Teilberei-chen auch dringend für erforderlich hält. Ansatz zur Veränderung sind sowohl das Individuum als auch die Institutionen. Aufgabe der Sozialarbeit ist die Eman-zipation des Klienten und damit die "Hilfe zur Selbsthilfe", was durch kritische Einsicht in die Verhaltensmuster, über die Vermittlung des Erkennens der gesellschaftlichen Möglichkeiten und Grenzen sowie durch Stärkung der Ent-scheidungs- und Handlungsfähigkeit des Klienten erreicht werden soll. Normen werden als historisch, sozial bedingt und deren Verletzung als normal angesehen. Abweichendes Verhalten wird mittels sozialpsychologischer Varianten des Etikettierungsansatzes (Lemert, Quensel) unter Einbeziehung sozial-struktureller Erklärungsansätze der kritischen Kriminologie interpretiert (*Abweichung, *Konformität, *Kriminalitätstheorien). Neben dem Individuum wird der soziale Nahraum in die methodische Arbeit einbezogen, wobei ein akzeptierend distanziertes Verhältnis zum Klienten besteht. In der Arbeit werden die Methoden: Einzelhilfe, Gruppenarbeit, Gemeinwesenarbeit und Straßensozialarbeit angewandt, deren theoretische Inhalte aus der *Psychoanalyse, Sozialpsychologie (*Psychologie) und *Soziologie abgeleitet werden. Die Zusammenarbeit mit der Polizei und anderen staatlichen Instanzen wird in Teilbereichen bejaht.

Vertreter der progressiv-radikalen Sozialarbeit sehen die gesellschaftliche Ordnung als ausschließlich den Interessen einer herrschenden Klasse dienend an (*Macht und Herrschaft), deren Veränderung nicht nur radikal (grundlegend) erforderlich ist, sondern auch nur so geschehen kann. Reformen werden als graduelle Verfeinerung der herrschenden Ordnung betrachtet, die keine grundlegenden Verbesserungen für die Betroffenen bringen. Als Ansatz der Veränderung werden die Sozialstruktur und die Institutionen gesehen. Daraus wird als Aufgabe einer kritischen Sozialarbeit die Stärkung der Solidarität der Betroffenen und deren Politisierung abgeleitet. Ziel der Sozialarbeit ist das Vermitteln der Einsicht in die Klassengegensätze und Machtverhältnisse der Gesellschaft, die Organisation und Unterstützung alternativer Selbsthilfeprojekte sowie der Schutz des Betroffenen vor staatlichen Zwangsmaßnahmen. Normen werden als ausschließlich der Erhaltung des Klassensystems dienend und als Ausdruck der Interessen der herrschenden Klasse gesehen. Der Verstoß gegen *Normen wird als Akt der Selbstbefreiung betrachtet. Der Spruch "Macht kaputt, was Euch kaputt macht", charakterisiert diese Befreiungsversuche. Lösungen der sozialen Schwierigkeiten werden nur kollektivistisch unter Einbeziehung des sozialen Umfeldes zu erreichen versucht, dadurch soll eine Individualisierung sozialer Probleme (Armut, Arbeitslosigkeit, Kriminalität, familiale Gewalt etc.) verhindert werden. Als Methoden sozialarbeiterischen Handelns werden Gemeinwesenarbeit, Straßensozialarbeit, Gruppenarbeit und Einzelhilfe favorisiert. Die theoretische Legitimation des Handelns wird aus der Soziologie, Ökonomie und den Theorien der Frankfurter Schule (vor allem Habermas und Marcuse) abgeleitet. Während zum Betroffenen ein prinzipiell solidarisches Verhältnis besteht, wird die Zusammenarbeit mit Polizei und anderen staatlichen Instanzen ausdrücklich abgelehnt.
In der Praxis ist eine solche idealtypische Trennung der drei Konzepte i. d. R. nicht zu finden. Sie treten im allgemeinen in vermischter Form auf, was letztlich auf die Inkonsequenz der Praktiker, deren pluralistische Ausbildung, der Abhängigkeit von den Interessen der Anstellungsträger, aber auch in entscheidendem Maße von den artikulierten Interessen der Klienten und deren Erwartungshaltung an die Sozialarbeit zurückzuführen ist.

Sozialarbeit wird sowohl von staatlichen und kommunalen als auch von privaten, gemeinnützigen Organisationen (z. B. Caritas, Innere Mission, Arbeiterwohlfahrt etc.) wahrgenommen. Die staatliche Verpflichtung im Bereich der *Jugendhilfe ergibt sich aus den §§ 1 und 2 JWG; ihre konkrete Aufgabe ist in den §§ 4 und 5 JWG festgelegt. Die Zusammenarbeit mit privaten Organisationen ist in § 5 Abs. 3 und 4 geregelt.
Im Bereich der Kriminalität arbeiten Sozialarbeiter in den justitiellen Institutionen Bewährungshilfe, Gerichtshilfe, Führungsaufsicht und Strafvollzug, hinzu kommt für jugendliche Straftäter (14 bis 21 Jahre) die beim Jugendamt ressortierte Jugendgerichtshilfe. Die Jugendgerichtshilfe wird auch häufig von freien Wohlfahrtverbänden (z. B. Sozialdienst katholischer Frauen, Innere Mission, Evangelischer Jugend- und Gemeindedienst, Arbeiterwohlfahrt etc.) sowie von anderen privaten Trägern (z. B. Drogenberatung e. V., Diversionsprojekte etc.), die über spezielle Fachkompetenzen verfügen, durchgeführt.
In letzter Zeit wird von verschiedenen Seiten die Einrichtung eines einheitlichen "Sozialen Dienstes der Justiz" gefordert, der eine effizientere Organisationsform zur Betreuung von Straftätern erreichen soll. Innerhalb dieses Sozialen Dienstes sollen die Einrichtungen der Justiz (Haftentscheidungshilfe, Gerichtshilfe, Bewährungshilfe, Führungsaufsicht und Sozialarbeiter im Strafvollzug) or-ganisatorisch zusammengefaßt werden. Die Diskussion über eine organisatorische Vereinheitlichung der *Sozialen Dienste der Justiz begann bereits Mitte der 70er Jahre. In Bremen wurde mit einem solchen Modellversuch bereits begonnen. Das Konzept des "Sozialen Dienstes" stößt allerdings auf heftige Kritik seitens der Sozialarbeit, die eine vermehrte Kontrolle seitens der Justiz und eine stärke Hierarchisierung der Strukturen der Dienste befürchtet und so notwendige Freiräume im professionellen Bereich bedroht sieht. Andererseits wird die Gefahr der Verfeinerung der Kontrolle des Klienten angeführt, die in der zu erwartenden Form dessen individuelle Freiräume erheblich verringern würde.

Literatur:
- Eyferth, H., u. a. (Hrsg.): Handbuch der Sozialarbeit und Sozialpädagogik. Neuwied und Darmstadt 1984.
- Müller, C.W. (Hrsg.): Einführung in die soziale Arbeit. Weinheim 1985.
- Dünkel, F.: Möglichkeiten der Fortentwicklung der sozialen Dienste in der Justiz. Bewährungshilfe 1986, 129-158.
- Müller, S.; Otto, H.U. (Hrsg.): Damit Erziehung nicht zur Strafe wird. Bielefeld 1986.
- Feltes, Th.; Sievering, K.O.: Hilfe durch Kontrolle? Frankfurt 1990.

Entnommen mit freundlicher Genehmigung des Kriminalistik-Verlages Heidelberg aus der gedruckten Version des Kriminologie-Lexikons, Stand der Bearbeitung: 1991

Helmut Janssen