Amok (www.krimlex.de)
 
Der etymologische Ursprung des Begriffs Amok liegt in dem malaiischen Wort "amuk", welches "zornig" oder "rasend" bedeutet. Daraus abgeleitet bezeichnet "mengamuk" den spontanen, ungeplanten und mörderischen Angriff gegen unbeteiligte Personen; "pengamuk" den Amokläufer selbst.
Der Amoklauf hat seinen Ursprung in den Völkern des malaiischen Archipels. Hier wurden aus ersten Berichten des 14. und 15. Jahrhunderts zwei Formen des Amoks unterschieden: Der kriegerische Amoklauf von Gruppen und der individuelle Amoklauf einer einzigen Person.
Die erstgenannte Form war eine Kampftaktik malaiischer Krieger, die sich ohne Rücksicht auf das eigene Überleben mit Todesverachtung und unter Ausstoßung des Kriegsschreies "Amok" auf den Gegner stürzten.
Der Portugiese Nicolo Conti erwähnte im Jahr 1430 erstmals den individuellen Amoklauf: Zahlungsunfähige Schuldner liefen Amok und töteten solange, bis sie selbst getötet wurden, um einer Versklavung zu entkommen und ihr Ansehen zu retten. Ein Jahrhundert später werden ebenfalls religiöse Ursachen des individuellen Amoklaufs im malaiischen Archipel genannt.

Im Laufe der Zeit löste sich der Begriff von der ursprünglich historischen, religiösen, geographischen und kulturellen Verwurzelung.
Aktuell wird der Begriff Amok häufig inflationär gebraucht. Die Medien orientieren sich in ihrer Berichterstattung an keiner eindeutigen Definition. Die Definitionsansätze sind jeweils von der wissenschaftlichen Disziplin, der sie entstammen, geprägt.

Häufig zitiert wird die Definition der Weltgesundheitsbehörde (WHO). Hiernach versteht man unter Amok "eine willkürliche, anscheinend nicht provozierte Episode mörderischen oder erheblich (fremd-)zerstörerischen Verhaltens" (WHO-Taschenführer zur Klassifikation psychischer Störungen, 2001). Mehrere Menschen werden erheblich gefährdet. Danach folgt Amnesie (Erinnerungslosigkeit), Erschöpfung, oder auch selbstzerstörerisches Verhalten.

Die Polizeidienstvorschrift (PDV100 Nr.4.11a.1.1) definiert eine Amoklage wie folgt: "Eine Amoklage im polizeitaktischen Sinne liegt vor, wenn ein Täter
- anscheinend wahllos oder gezielt
- insbesondere mittels Waffen, Sprengmitteln, gefährlichen Werkzeugen oder außergewöhnlicher Gewaltanwendung,
- eine in der Regel zunächst nicht bestimmbare Anzahl von Personen verletzt oder getötet hat bzw. wenn dies zu erwarten ist und
- er weiter auf Personen einwirken kann.
Eine Amoklage im polizeitaktischen Sinn liegt bereits dann vor, wenn Anhaltspunkte ein solches Täterverhalten unmittelbar erwarten lassen."

Gemeinsam ist allen Definitionen die nach außen hin willkürlich und blindwütig erscheinende Tötung mehrerer Personen.

Synonym zu dem Begriff Amok wird vereinzelt auch der Begriff Massenmord verwendet. Die einzelnen Tötungsdelikte im Rahmen eines Massenmordes müssen sich jedoch nicht zwingend innerhalb eines kurzen Zeitraums abspielen. Lübbert (2002) sieht den Amoklauf als spezielle Form des Massenmordes. Amokläufe von Schülern werden teilweise aufgrund der persönlichen Bindung an die Opfer und dem kontrollierten und überlegten Töten zwar unter den Begriff des Massenmordes, nicht jedoch unter den Begriff "Amok" gefasst. Dieser "Schul-Amok" hat mit der blindwütigen Raserei der ursprünglichen Begriffsbedeutung nichts mehr zu tun. Nach einer Klassifikation des FBI werden diese Taten unter den Begriff des "shool-shooting" gefasst. Ein weiterer Begriff, der im Zusammenhang mit Amoktaten genannt wird, ist der erweiterte Suizid, da fast die Hälfte aller Amokläufer im Laufe ihrer Tat um kommen.

Die Ursachen für Amok sind nicht eindeutig erforscht und es existieren je nach Wissenschaftsdisziplin unterschiedliche Erklärungsansätze.
Genannt werden in erster Linie psychosoziale Ursachen: Epilepsie, seelische Erkrankungen, Psychosen, Persönlichkeitsstörungen und neurotische Störungen wie insbesondere der Narzissmus. Biologische Erklärungsansätze verweisen auf einen Mangel des Botenstoffes Serotonin, Vergiftungszustände oder körperliche Leiden. Durch eine übermäßige Nutzung von Gewaltmedien soll es nach dem Modelllernen und dem operanten Konditionieren zu einer Verrohung kommen. Ein weiterer Erklärungsansatz verweist auf einen gestörten Bindungsstil im Kindesalter. Diskutiert wird ebenfalls die Nachahmung als eine mögliche Ursache.
Einigkeit besteht dahingehend, dass es keine alleinige Ursache für den Amoklauf gibt und in der Regel ein Ursachenbündel vorliegt.

Neueste Studien (Sehle, 1999 / Adler et al., 2000 /Lübbert, 2002) widersprechen sich dahingehend, ob die Mehrzahl der Täter unter einer psychischen Erkrankung leiden. Die Angaben schwanken zwischen 8% und 68%. Übereinstimmung herrscht dahingehend, dass die Täter überwiegend männlich und zwischen 21-35 Jahren alt sind. 40-60% der Täter sind zum Tatzeitpunkt ledig. Sie gehören unterschiedlichen sozialen Schichten an. Der Amoklauf beginnt häufig im engen sozialen Nahbereich und weitet sich dann auf Unbeteiligte aus. Die Opferzahlen Unbeteiligter liegen bei 36-50%. Der Tatort liegt vornehmlich im öffentlichen Raum (über 50%), die Schule ist mit 13% betroffen. Der Mittelwert der verletzten Personen liegt bei 3,2 Personen, der Mittelwert der Todesopfer bei 2,7 Personen pro Tat. Auffallend ist, dass in 63% der Fälle Schusswaffen verwendet wurden, die zweitgrößte Gruppe bilden Fahrzeuge mit 12%. Die Tat endet in 26-46% mit dem Suizid des Täters.

Der Ablauf eines Amoklaufs wurde erstmalig im Jahr 1901 durch Gimlette in ein vierstufiges Phasenmodell unterteilt: An die erste Phase des "Brütens" schloss sich in der zweiten Phase ein Wutanfall an, der in der dritten Phase in Tötungshandlungen gipfelte und schließlich, in der vierten Phase, mit Amnesie endete. Studien über dieses und nachfolgende, differenzierte Phasenmodelle konnten lediglich die Stufen zwei und drei bestätigen: In der Stufe zwei bricht der Amok mit rücksichtsloser Tötungsbereitschaft aus; beginnend oftmals bei sozial nahe stehenden Personen und sich auf Fremde ausweitend. Im Anschluss daran folgt eine oft mehrstündige mörderische Raserei, die durch Suizid oder Überwältigung des Täters endet.
Übereinstimmung besteht dahingehend, dass prädeliktisch aufgrund der Persönlichkeitsentwicklung ein sozialer Rückzug als Reaktion auf frustrierende oder enttäuschende Lebenssituationen stattfand. Die Welt wird als feindselig und ungerecht empfunden. Positive Erfahrungen werden nicht mehr als solche erkannt und die eigene, hinsichtlich der erlebten Ungerechtigkeit und Feindseligkeit verzerrte Wahrnehmung, wird weiter verstärkt. Die Demütigung wandelt sich in Wut; es entsteht der Wunsch nach der Verteidigung der eigenen Identität und der subjektiv empfundenen Gerechtigkeit. Es entsteht eine Traumwelt, in der sich der Täter mächtig und berühmt fühlt. Die vermeintliche Gerechtigkeit wieder herzustellen, wird als Recht empfunden. Eine Affinität zu Waffen (wenn nicht schon zuvor vorhanden) entsteht. Auslösendes Moment der Amoktat bzw. des entstehenden Plans eines Amoklaufs sind Konflikte, die sich in der Reihenfolge ihrer Häufigkeit nach Lübbert (2002) in fünf Hauptgruppen unterteilen lassen: partnerschaftliche und berufliche Konflikte, Konflikte mit öffentlichen Organen, Konflikte mit Bekannten und mit Fremden. Die auslösenden Momente sind zwar der Anlass, nicht jedoch Ursache des Amoklaufs. Oftmals wird der entstehende Plan angekündigt (Leaking = engl.: tröpfeln, Leckschlagen), was jedoch von der Außenwelt nicht ernst genommen wird.
Nach außen werden die Täter in den meisten Fällen als freundlich und zurückhaltend wahrgenommen.
Beachtet werden muss, dass jede einzelne Verhaltensweise für sich kein Anhalt für eine konkrete Gefährdungslage ist.

Hinsichtlich aller genannten Ergebnisse muss darauf hingewiesen werden, dass eine Allgemeingültigkeit der Aussagen nicht gegeben ist: Amokläufe sind äußerst selten; die Wahrscheinlichkeit liegt bei eins zu einer Millionen, dass ein Mann Amok läuft. Zudem endet eine Vielzahl der Ereignisse mit dem Tod des Täters, wodurch eine gründliche Analyse erschwert wird. Ein Vergleich der Studien zum Phänomen Amok wird durch unterschiedliche Forschungsmethoden erschwert. Die Individualtität der Täter, die vorgeschaltete situative Entwicklung sowie die Tatsache, dass das auslösende Moment nicht Ursache des Amoklaufs ist, fordern ebenfalls Vorsicht vor Verallgemeinerungen.

Den typischen Amokläufer gibt es nicht. Die Täter vereint lediglich eine ähnlich ablaufende, phasenhafte, impulsive und suizidale Handlung. Daher fordert Adler eine Typologisierung über Tat- und nicht über Tätermerkmale.

Schlüsselwörter: Amoklauf, Massenmord, erweiterter Suizid, School-Shootings, "Schul-Amok", Gewaltdelikte

Literatur
- Adler, L. 2000: Amok - Eine Studie, München.
- Hermanutz, M. / Kersten, J. 2003: Amoktaten, in: Stein, F. (Hg.): Grundlagen der Polizeipsychologie, Göttingen, 138-151.
- Hoffmann, J. 2003: Amok - Ein neuer Blick auf ein altes Phänomen, in: Lorei, C. (Hg.): Polizei & Psychologie. Kongressband der Tagung "Polizei & Psychologie" am 18.u.19.3.2003 in Frankfurt, Frankfurt, 397-414.
- Lübbert, M. 2002: Amok - Lauf der Männlichkeit, Frankfurt.

Judith Thier